2.3.1. Einführung

Inhaltsverzeichnis

2.3.1.1. Sprachliche Steigerungen
2.3.1.2. Der Monotheismus und die Einzelwissenschaften

 

2.3.1.1. Sprachliche Steigerungen

Ich will nun der Frage nachgehen, wie die verschiedenen Wissenschaften mit der Nötigung an alle Menschen, an den all-einzigen Monotheos glauben zu sollen, umgegangen sind, entweder den Glauben an ihn bestätigend (apologetisch) oder auch kritisch, und im zweiten Falle, ob sie auch Alternativen zu diesem Glauben und zu seinem Untergrund, zu den einzelnen schlicht-naiven und oftmals wirklichkeitsfremden Glaubensinhalten, anbieten konnten.

Beginnen wir mit der Logik und der Mathematik einschließlich der Geometrie, wie sie bei Nikolaus von Kues („coincidentia oppositorum“) und Baruch Spinoza („more geometrico“) thematisiert worden ist. Da ist zunächst festzuhalten, dass beide, die Logik und die Mathematik, von ihrem Urgrund, von der Sprache abzuleiten sind. Schon die Sprache hatte längst vorher superlativische Ausdrucksmöglichkeiten ausgebildet, etwa in unserer Sprache die Steigerungsreihen

  Positiv: Komparativ: Superlativ „Totalitiv“:
  mächtig mächtiger am mächtigsten (→ allmächtig)
  klug klüger am klügsten (→ allwissend)
(lang, breit, tief, weit =) groß größer am größten (→ unendlich)

Es ist naheliegend anzunehmen, dass schon diese Vergleichsmöglichkeiten mit ihrer über den Superlativ sogar noch hinausgehenden Steigerung zur „totalitiven“ Allbehauptung schon früh zum Aufkommen einer Theologie des Monotheos beigetragen haben. Denn der Monotheos ist eher ein theologisches Konstrukt (wahrscheinlich schon bei Echnaton) als ein Inhalt des lebendigen Volksglaubens. Gläubige Menschen haben sich schon immer schwer damit getan, auf eine Vielzahl göttlicher Wesenheiten verzichten zu sollen zu Gunsten des einen Gottes. Daher wohl auch die so betonte Position des Ersten Gebotes („... Du sollst keine anderen Götter neben mir haben ...“) vor den anderen neun Geboten, so als wäre diese Forderung ein besonders wichtiges Anliegen des Monotheos (oder seines Sprachrohrs Mose), der dies den Menschen vor allen anderen Geboten ausdrücklich einzuprägen versucht hatte, weil sie sonst allzu leicht wieder in den Polytheismus ihrer Väter hätten zurückfallen können. Zu diesen Superlativen gehört übrigens auch „das Erste“ und „das Letzte“, das Alpha und Omega der christlichen Eschatologie.

Die aus der Sprache erwachsene Logik hat von Anfang an mit dem Begriff „alle(s)“ gearbeitet, auch abgestuft als Folge von „kein“, „ein“, „manche“, „viele“ und „alle“, was mit dem „kein“ die von der Sprache schon angebotene Komparation weiter bis zum Nichts, beispielsweise bis zum Negativ „ohnmächtig“ des Positivs „mächtig“ ausdehnt, wie ja auch die totalisierende Zuschreibung „allmächtig“ noch über die Macht des relativ mächtigsten Einzelnen hinausgeht. Der Allmächtige entzieht sich allem Vergleichen, denn Er ist keineswegs nur der Mächtigste unter den Göttern, sondern Er war, ist und bleibt der einzig Allmächtige.

Solche Steigerungsmöglichkeiten der Sprache und der ihr inhärenten Logik sind von der Mathematik aufgegriffen und über Reihenbildungen und Teilungsschritte noch erweitert und differenziert worden. Das hat dazu beigetragen, dass sich insbesondere die Mathematik des Unendlichen, mit dem Zeichen ∞, sehr bald in eine fatale Nähe zum Begriff des Monotheos begeben hat und sogar zu dem einen oder anderen Versuch einer Mathematisierung Gottes geführt hat. Der unendliche Gott als die Unendlichkeit selber, das zu denken (allerdings nicht so sehr: daran fromm zu glauben!) schien plausibel zu sein. Schon Nikolaus von Kues (1401 – 1464) hatte viel an Mathematik und Geometrie eingesetzt, um zumindest gleichnishaft die Beziehungen zwischen dem Einen und der Unendlichkeit, und auch den Gegensatz zwischen der Nichtigkeit der Null und der Fülle des Unendlichen zum Ausdruck zu bringen. Dabei ist zu bedenken, dass sich die Mathematik leicht von all und jedem in Dienst stellen lässt; sie ist unschuldig gegenüber inhaltlichen (Fehl-)Interpretationen ihrer Zeichen, Funktionen und Formeln. Dieser Umstand ist dann auch immer wieder einmal, in der Regel wohl ohne böse Absicht, zur apologetischen Bestätigung des Monotheos-Dogmas genutzt worden. So hat ein bedeutender Wissenschaftler, der Mathematiker und Logiker Kurt Gödel (1906 – 1978), dem es um die (fragliche) Widerspruchsfreiheit logisch-mathematischer Systeme ging, zugleich in geradezu oberschülerhafter Naivität versucht, die Existenz Gottes logisch-mathematisch zu beweisen (C. A. Pickover: Die Mathematik und das Göttliche. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg, 2003, Kap.20: Mathematische Beweise für die Existenz Gottes, S. 304 - 318, sowie Anhang 1: Gödels mathematischer Beweis für die Existenz Gottes, S. 351 – 373).

Auch die auf die physische Realität bezogenen Naturwissenschaften bieten Gelegenheiten, sich mit Unendlichkeiten zu befassen, angefangen mit der Astronomie des Altertums und fortgesetzt mit der später eschatologisch beeinflussten Kosmologie des Christentums, die im Lauf der Jahrhunderte zur physikalischen Gravitationstheorie und insbesondere in heutiger Zeit zur Astrophysik verwissenschaftlicht wurde. Begriffe wie „das Weltall“, in seinem Weg von der Anfangskatastrophe des „Urknalls“ der primären Singularität bis zur Endkatastrophe, in der möglicherweise alle Materie in einem finalen „Schwarzen Loch“ verschwindet, können als Beispiele für die weite Spanne zwischen dem Nichts und der Unendlichkeit in der Kosmologie genommen werden. Die Physik wiederum sucht – bislang noch vergeblich – nach der „Weltformel“, nach der „Großen Vereinheitlichung“ der vier Grundkräfte, quasi nach dem ersten „Es werde ...“ des Schöpfergottes, nach einem Urgedanken, der sich dann in die unendliche Vielfalt der Seinsphänomene materialisiert und ausdifferenziert hat.

Selbst die Biologie kann sich nur schwer vom Bezug zum allmächtigen Monotheos als Schöpfer alles Lebendigen freimachen. Auch einem neodarwinistisch orientierten Biologen kann das Wort „Schöpfung“ schon mal leicht über die Lippen gehen, wenn er sich für die Erhaltung der Artenvielfalt in den noch unberührten Urwäldern und in den Tiefen und Weiten der Weltmeere engagiert. Die biblische Schöpfungsgeschichte scheint sogar einige Bestätigungen gefunden zu haben: so hat es Sintfluten, also großflächige Überschwemmungen, in verschiedenen Tiefländern und Küstenbereichen tatsächlich gegeben, ganz abgesehen von den mehrfach bis in mittlere Breiten ausgedehnten Vereisungen („Eiszeiten“) und den katastrophalen Einschlägen von Meteoren und Meteoriten, sowie von den gewaltigen Vulkanausbrüchen mit großflächigen Basaltergüssen (z.B. der indischen Dekkan-Trappe). „Und die Bibel hat doch recht?“ Könnte nicht nur das All, sondern auch das Leben einen gottgewollten Anfang gehabt haben und ggf. ein gottgewolltes Ende finden? Ist nicht der Mensch, selbst wenn er erwiesenermaßen von irgendwelchen höheren Affen abstammt, dennoch „irgendwie“ ein Ebenbild Gottes, von Ihm geschaffen? Gott selbst stammt allerdings sicher nicht von einem göttlichen Affen ab, denn Gott ist schon seit Ewigkeiten einzig und allein, Er hat daher weder Vorgänger noch kann Er von einem göttlichen Nachfolger abgelöst werden, auch nicht von Seinem Sohn, der zwar gleichermaßen am Ende der Zeiten neben seinem Vater zu sitzen kommt („ ... zu richten die Lebendigen und die Toten“), aber keine Sekunde länger als dieser existieren wird.

Der Mensch, zunächst nur ein winziger Zweig am riesigen Baum der biologischen Evolution, inzwischen erdbeherrschend und in den Weltraum vordringend, hat dennoch seinen erst vor wenigen tausend Jahren etablierten Bezug zu einem als Schöpfergott verstandenen Monotheos in weiten Bereichen der bewohnten Erde bis heute behalten. Mit Gott verbindet sich im jüdisch-christlich-islamischen Glauben die Erschaffung des Menschen als Ebenbild Gottes, ein heute nur noch schwer zu vermittelnder Glaubensinhalt. Ist denn dieser Gott, im Umkehrschluss, auch seinem Ebenbild - dem Menschen – ähnlich, vielleicht sogar in seiner Leiblichkeit? Wenn man christliche Theologen dazu befragen würde, würden diese wohl ihre Lehre von der Trinität vortragen („Gott ist in Jesus Christus Mensch geworden“), und der Leib Jesu (Fronleichnam = Leib des Herrn) wird, zumindest im Andenken an diesen, von den Christgläubigen in der Heiligen Kommunion (im Abendmahl) andächtig oral aufgenommen.

In der Frage nach der Ebenbildlichkeit als reziproke Relation zwischen Gott und Mensch tun sich die Meister der traditionellen Kirchenkunst etwas leichter. Es gibt wirklich schöne Bilder von Gott, meist als verehrungswürdiger älterer Mann dargestellt, noch mehr Bilder von seinem deutlich jüngeren Sohn Jesus, und besonders schöne Bilder von der Gottesmutter Maria, und auch die Engel sind meist schön anzusehen („schön wie ein Engel“). Ich habe noch nie einen Engel mit Hasenscharte gesehen, aber möglicherweise gibt es das bei Teufeln. Das wäre nicht akzeptabel, da wir doch wissen, dass dieser Defekt der ontogenetischen Lippen- bzw. Gaumenbildung auch bei sehr liebenswerten und hoch achtenswerten und überhaupt unter „gottebenbildlichen“ und gar nicht „teuflischen“ Menschen vorzufinden ist. Aber: Gott mit Hasenscharte? Undenkbar.

So wird die Ebenbildlichkeit doch eher als eine geistige verstanden, die zwar beschreibbar, aber nicht so einfach abbildbar ist. Der Geist hat etwas Immaterielles, „er weht, wo er will“, und er materialisiert sich insbesondere im Wort Gottes („Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott“). Das hat immer wieder den Vergleich zwischen bloß menschlicher und wirklich göttlicher, eben höherer Vernunft – bis zur Allwissenheit - als kaum möglich erscheinen lassen. Ich denke aber, dass diese Geistigkeit Gottes sehr zum Aufkommen von Spekulationen und Theorien der Psychologie beigetragen hat.

Im Folgenden werde ich den Bezügen dieser und anderer Wissenschaften zum allendlichen (allmächtigen, allwissenden, allgütigen) Monotheos im Einzelnen nachgehen. Dabei wird sich ein Unterschied ergeben zwischen einerseits den anfangs aufgeführten „strengen“ Wissenschaften der formalen Logik, der Mathematik, auch noch der Astronomie und Physik, und andererseits den weniger mathematisierten, komplexeren, beobachtungsnäheren Wissenschaften wie der Biologie, Psychologie und Politologie. Die ersteren eignen sich besser, Entsprechungen zu einigen Attributen Gottes zu liefern, was z.B. für die Unendlichkeit des Raumes und der Zeit gilt, ähnlich wie auch „instantane“ Fernwirkungen als Entsprechung zur augenblicklichen Allgegenwart Gottes verstanden werden können. Aussagen dieser Wissenschaften können damit sogar als Stütze des Glaubens an den all-einzigen Gott dienen. Je mehr aber andere Wissenschaften sich mit dem lebenden und erlebenden Menschen befasst haben, so schon in der Biologie, besonders aber in der Psychologie, Soziologie und Politologie, um so mehr kommen neben den apologetischen, den Glauben wissenschaftlich absichernden Tendenzen auch kritische Ansätze auf, etwa auf religions-pathologische Aspekte bezogen, vor allem aber auch zunehmend mehr Argumente für eine positiv pluralistische Auffassung des Seins weitgehend ohne Gott. In dieser Zielrichtung der Gesamtargumentation soll dann im Schlusskapitel die Pluralität der Seinsaspekte und der methodischen Zugänge zu ihnen in einem neuen Ansatz zum Zentrum meiner Überlegungen werden.