2.3.2.3. Kritik an Poppers Problemlösungsansatz

Stattdessen könnte gefragt werden: Gibt es im weiten Bereich des Seins nicht vielleicht doch auch Aussagen, die nicht gleich der strengen Falsifizierung unterzogen werden müssen, weil man sich bei ihnen auch mal mit einem intersubjektiven Konsens, mit einer persönlichen Meinung, einer ästhetischen Einschätzung oder mit der bloßen Plausibilität zufrieden geben kann? Diese Fragen berühren den mehrfach gegen Hans Albert vorgebrachten Vorwurf des erkenntnistheoretischen Monismus, und es ist sehr lesenswert, wie sich Albert gegen diese Kritik verteidigt hat, weil er vielfach nachweisen konnte, dass die Argumente der Kritiker z.T. auf sehr schwachen Füßen standen. Ich selber würde nicht von Monismus sprechen, sondern von einer gewissen Einengung der Erkenntnisproblematik auf Gegenstandsbereiche, in denen insbesondere naturwissenschaftliche Verfahrensweisen tatsächlich die Methode der Wahl sind. Aber in anderen Bereichen könnten, so meine ich, nach dem auch von Albert angesprochenen Prinzip der Bereichsspezifität, durchaus auch irgendwelche anderen methodischen Varianten zulässig und sogar angemessener sein.

Des weiteren wäre zu bedenken, dass selbst das im strengen Sinne naturwissenschaftliche Forschen nicht ohne Beiträge und Hilfen aus den methodischen Zugängen zu anderen Seinsbereichen auskommt. Es gibt ja schon in den vorwissenschaftlichen, sogar vormenschlichen Erkenntnisvorgängen so etwas wie ein Zusammenwirken unterschiedlicher Zugänge zur Realität und ein Wirksamwerden gegenseitiger Begründungs- und Überprüfungshilfen, die insgesamt zur besseren Erkenntnis beitragen. Da hilft schon mal auf der unteren Ebene tierlichen Lebens die Wahrnehmung zur Steuerung der Motorik, und ähnlich hilft bei höheren Tieren, insbesondere bei den Anthropoiden, das Einsichtsvermögen zu einer besseren Gesamteinschätzung und gezielteren Entscheidung, und insbesondere beim Menschen hilft die Sprache dem Denken. Weiterhin fördern die sozialen Traditionen den individuellen Spracherwerb und die sprachliche Verständigung, während die Logik, die Mathematik und andere Zeichensysteme wiederum dazu beitragen können, sprachliche Aussagen durch Formalisierung zu vereindeutigen. Auf der Handlungsseite wiederum kann methodisches Beobachten, Zählen und Messen, vor allem das kontrollierte Variieren bestimmter Dimensionen des zu analysierenden Geschehens, also das Experiment, zur Isolierung derjenigen Variablen helfen, die für die kausale Erklärung der Vorgänge entscheidend wichtig sind. Experimente können uns helfen, die im Erkenntnisprozess gebildeten Theorien auf die Probe zu stellen, und aus dem Nichteintreffen des nach der Theorie vorausgesagten Effekts können wir zu einer Falsifizierung oder wenigstens Einschränkung oder Spezifizierung dieser Theorie kommen und nach neuen und anderen Erklärungsansätzen Ausschau halten.

Aber die Isolierung und die Operationalisierung der Variablen und die experimentelle Überprüfung der zwischen ihnen vermuteten Zusammenhänge setzt in der wissenschaftlichen Praxis doch auch voraus, dass man zuvor den sprachlichen Inhalt und Sinn einer Aussage aus einer den bisherigen Forschungsstand vermittelnden Fachliteratur korrekt aufgenommen, hermeneutisch erschlossen, kritisch bedacht und ggf. in neue Problemstellungen umgesetzt hat, und dies noch am Schreibtisch, noch ganz ohne Apparate. Und was in der naturwissenschaftlichen Forschung an Beweislogik, statistischen Verfahren und mathematischen Formalisierungen eingesetzt wird, das kann natürlich nicht seinerseits empirisch oder gar experimentell begründet werden, sondern hat seine jeweilige Richtigkeit aus quasi systemimmanenten Begründungs-Zusammenhängen und Überprüfungsmöglichkeiten. Dabei kann viel Theoretisches, schließlich sogar Metaphysisches ins Spiel kommen, wie Albert selber an einigen Stellen seiner Texte eingeräumt und sogar betont hat. Das sind je verschiedene Dinge, die nicht gut als die eine Wirklichkeit und die eine Methode zu ihrer Erkenntnis zu fassen sind.