2.3.6. "Rassismus" oder Fremdenfeindlichkeit?

Inhaltsverzeichnis

2.3.6.1. Problemlage
2.3.6.2. Mischehen im Alten Testament (Buch Esra)
2.3.6.3. "Rasse" und sprachverwandte Wörter
2.3.6.4. Rasse-Ideologen der Neuzeit
2.3.6.5. Die Darwinsche Evolutionstheorie
2.3.6.6. Über Menschenrassen
2.3.6.7. Haustierrassen
2.3.6.8. Nazistische Rassenideologie
2.3.6.9. Rassismus
2.3.6.10. Biologismus
2.3.6.11.Aktueller Rassismus
2.3.6.12. Fehlanwendungen des Begriffs "Rassismus"
2.3.6.13. Konsequenzen aus diesen Analysen
2.3.6.14. Nachtrag

2.3.6.1. Problemlage

Was ich heute hier vorhabe, ist ein bisschen "Nestbeschmutzung": Ich werde nämlich einige von denjenigen kritisieren, denen ich mich eigentlich zugehörig fühle, nämlich Freunde von der Bürgerrechtsbewegung "Humanistische Union" (HU) und von ähnlich orientierten Organisationen. Und zwar will ich sie nicht generell kritisieren, sondern wegen etwas ganz Bestimmtem, das ich nicht akzeptieren kann. Statt Nestbeschmutzung könnte ich auch sagen: ich versuche ein Aufräumen in der eigenen Wohnung, einschließlich Fensterputzen, um einen klareren Durchblick zu haben. Man könnte es auch Aufklärung nennen. Ich möchte meine Diskussionspartner aufklären über den falschen und verdunkelnden Begriff von "Rassismus", der in Beiträgen, die von Mitgliedern oder Sympathisanten der Humanistischen Union verfasst worden sind, immer noch verwendet wird. Ich bringe dazu einige Beispiele aus dem unter anderem von der HU herausgegebenen Grundrechte-Report 2002 (Rowohlt TB, Reinbek, 2002). Er ist insgesamt sehr lesenswert. In seinen 38 Beiträgen findet man viele wichtige Informationen über aktuelle und drohende Verletzungen der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland, und auch beachtenswerte Hinweise auf Möglichkeiten, sie aufzudecken und abzuwehren. Auch der beigefügte Anhang hat einen hohen Informationsgehalt.

Ich habe das ganze Buch gründlich durchgearbeitet und bin dabei an sechs Stellen (im Umfang von insgesamt etwa einer Seite, also weniger als einem halben Prozent der gesamten Seitenzahl) an einem Problem hängen geblieben, über das ich nachgedacht habe. Es ist das Problem der Verwendung des Begriffs "Rassismus". Nicht die geringsten Schwierigkeiten habe ich, wenn auf S. 131 ein Gerichtsbeschluss zitiert wird, in dem es heißt, dass mit der Konzeption des Grundgesetzes "nazistische Grundgedanken von vornherein unvereinbar" seien. Eine Ideologie, die auf Rassismus ... aufbaue, lasse sich unter dem Grundgesetz nicht legitimieren. Der Autor, Martin Kutscha, bemerkt aber abschließend, dass dem Bundesverfassungsgericht beizupflichten sei, dass die juristische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus nicht jenseits der vom Grundgesetz genau vorgezeichneten Bahnen geführt werden darf. Auch dass die UN-Menschenrechtskommission einen Rassismusausschuss hat, der besorgt ist über den Anstieg rechtsextremistischer Straftaten in Deutschland, und deshalb die Bundesregierung auffordert, die Ursachen dafür zu untersuchen, finde ich ganz in Ordnung.

Anders schätze ich Formulierungen ein wie von Marei Petzer, die auf S. 89 schreibt, dass die "rassistische" Stigmatisierung von Menschen ohne deutschen Pass mit dem Terrorismusgesetz einen neuen Nährboden erhalten habe. Oder wenn Michael Stoffels auf Seite 159 die "Residenzpflicht" als eine rassistische Auflage für Ausländer bezeichnet. Die Auflage einer räumlichen Aufenthaltsbeschränkung, so behauptet er, gehöre zu jenem Traditionszusammenhang administrativer Diskriminierung von Ausländern, wie er sich im vergangenen Jahrhundert durch ein Wechselspiel von öffentlichem Rassismus und restriktiver Ausländerpolitik herausgebildet habe (S. 161/162). Einer der Autoren des Jahrbuches, Oliver Brüchert, stellt auf S. 259 seine Veröffentlichungen zu Kriminalpolitik, Rassismus und Strafvollzug vor, u. a. die Schrift: "Die Ausländerkriminalität sinkt nicht: Der Zusammenhang von Kriminalstatistik und Rassismus" (2002).

Ich frage nun: Ist in diesen Zitaten auch von Nationalsozialismus und Rechtsextremismus die Rede? Geht es in ihnen überhaupt um Rasse? Ich habe den starken Verdacht, dass das nicht der Fall ist, jedenfalls nicht zentral. Es gibt also eine Verwendung des Begriffs "Rassismus" ohne den Bezug auf Nazismus und Rechtsextremismus und vor allem ohne den Bezug auf Rasse. Stattdessen geht es generell um Ausländer, im einzelnen um Menschen ohne deutschen Pass. Sind nun alle Menschen ohne deutschen Pass damit schon fremdrassig? Welchen Rassen oder welcher einzelnen Rasse gehören denn Menschen mit deutschem Pass an? Sind sie etwa "arisch"? Sind Ausländer per se fremdrassig? Hat der Besitz oder Nichtbesitz eines Passes überhaupt etwas mit Rasse zu tun? Die genannten Autoren geben darüber keine Auskunft, sie verwenden das Wort "Rassismus " einfach, offenbar vornehmlich als Beschimpfung. Aber ich will doch noch genauer nachfragen, wie hier der Begriff "Rassismus" gebraucht wird. Er zielt auf harte oder auch zugleich rechtlich nicht vertretbare Maßnahmen gegen Menschen, die aus anderen Ländern gekommen sind, die andere Sprachen sprechen, andere Sitten pflegen, einer anderen Religion angehören, andere Vorstellungen von Recht und Ordnung haben, und die auch ggf. anders aussehen als wir hier. Geschehen nun alle diese von den betroffenen Menschen als ungerecht empfundenen und teilweise eindeutig rechtswidrigen Maßnahmen wegen ihrer Rasse?

Dann müsste die Rasse des Betroffenen der explizit oder verborgen entscheidende Grund für die Maßnahme sein. Aber ob sie das ist, das kann nicht einfach unterstellt werden, das müsste man überprüfen, da es auch andere Begründungen für Ablehnung geben könnte, wie erwiesene Straftaten, eine andere Religion, eine andere Sprache. Es gibt nämlich einige mit der Fremdrassigkeit konkurrierende Rechtfertigungen für die Ablehnung anderer Menschen, und darunter neben schändlichen Gründen auch durchaus nachvollziehbare, z. B. wenn ein Opfer oder der Angehörige eines Opfers den Täter oder eine Gruppe von Tätern ablehnt. Wenn man überhaupt verallgemeinern will, dann ist ein höchst verbreitetes Motiv für die Ablehnung anderer Menschen die schlichte Fremdenfeindlichkeit, wobei der Fremde ursprünglich meist als ungläubig oder irrgläubig (d.h. andersgläubig) und als fremdsprachig (d. h. anderssprachig) abgelehnt wird, und nur ausnahmsweise als fremdrassig (d.h. andersrassig). Denn bei Menschen von erwiesenermaßen gleichem Glauben wird die Andersrassigkeit meist großzügig übersehen, beispielsweise wenn die so offensichtlich dunkelhäutigeren Leute aus dem südafrikanischen Moretele in der Marburger Elisabeth-Kirche fromme Kirchenlieder und sogar temperamentvolle Gospels singen. Und japanische, südkoreanische oder chinesische Studierende brauchen sich in Marburg ganz in der Regel nicht verfolgt zu fühlen, obwohl man ihnen ihre Andersrassigkeit schon von weitem ansehen kann. Aber sie sind meist sauber gekleidet, lächeln freundlich bei Kontakt mit Deutschen, und sie haben Sitten, die unseren Gebräuchen sehr ähnlich sind: Pärchen halten sich an der Hand oder gehen eingehakt, Papas schieben Kinderwagen oder tragen ihr Kleinkind Huckepack, und die Erwachsenen können sich in der Regel entweder auf deutsch oder wenigstens auf englisch verständigen. Und japanische Autos haben sich bei uns als wenig reparaturanfällig erwiesen, ebenso auch japanische Elektronik-Geräte. Japaner sind anscheinend Menschen wie Du und ich, "nur ein bisschen gelb und schlitzäugig", aber daran kann man sich leicht gewöhnen. Man kann sich sogar daran erfreuen.

Es geht bei der Fremdenfeindlichkeit also gar nicht zentral um "Rasse", sondern es sind eher Kombinationen von als negativ empfundenen Merkmalen, und zwar in den verschiedensten Hinsichten, die meist erst zusammengenommen eine Abwehr gegen ihr Anderssein und ihre Fremdheit aufkommen lassen. Dazu gehören z.B. deutlich andere Alltagssitten, andere Kleidung, wenn sie außerhalb von Anlässen, in denen festliche Tracht getragen wird und über Schmuck-Accessoires hinausgehend als uniform fremdartig erscheint, wie etwa die auch in der Sommerhitze und in geschlossenen Räumen beibehaltene Ganzverschleierung einer strenggläubigen Muslima. Hinzukommen kann eine demonstrierte andere Religion, eine Beschränktheit auf eine andere Sprache, vor allem wenn der Wechsel zur deutschen oder englischen Sprache nicht gelingt. Verstärkt wird ein solcher Eindruck durch eine abgerissene Kleidung, eine ungepflegte äußere Erscheinung, ein "unzivilisiertes" Verhalten, etwa ein bedrängendes Betteln, ein Betrunkensein, der Straßenhandel mit Objekten, die wie Zigaretten, Drogen, Wertsachen etc. den Verdacht auf Hehlerei von Diebesgut aufkommen lassen. Wohlgemerkt, dass sind nicht meine eigenen Kriterien, aber ich kenne sie als Ablehnungsgründe jenseits der Rassenzugehörigkeit eines Menschen. Nicht auf den ersten Blick erkennbar, aber in der nachträglichen Bewertung eines Menschen seine Ablehnung verstärkend, ist eine als fremdartig oder sogar befremdlich empfundene Weltanschauung, ein sektiererisches Gruppenverhalten, oder schließlich die erwiesene Zugehörigkeit zu kriminellen Vereinigungen wie der einen oder anderen Art von Mafia und organisierten Kriminalität. Die "Rasse" eines solchen Menschen kann dabei eine völlig untergeordnete oder höchstens noch verstärkende Rolle spielen, kann aber auch völlig irrelevant sein. Es gibt ja genügend unangenehme Menschen, die sich rassisch von uns hier gar nicht unterscheiden lassen. Im Übrigen habe ich den Verdacht, dass die Rassismus-Kritiker das Wort "Rassismus" häufiger verwenden, als die von ihnen Kritisierten das Wort "Rasse", dessen Sinngehalt und selbst dessen ideologische Verwendung ihnen gar nicht mehr vertraut ist. Aber von "Rassismus" sollte man nur sprechen, wenn es auch dem so Kritisierten wirklich um Rasse geht, wenn er also Menschen primär wegen ihrer Rasse ablehnt. Die Ablehnung anderer Menschen hat aber viele andere und vor allem sehr viel ältere Wurzeln als die Unterscheidung von Menschen nach ihrer Rasse.