2.3.6.12. Fehlanwendungen des Begriffs "Rassismus"

Dagegen gibt es die falsche oder unangemessene Verwendung des Wortes "Rassismus" auch für Fälle, in denen es gar nicht um Rasse und ihre Ablehnung geht, etwa wenn mit diesem Wort fremdenfeindliche Äußerungen kritisiert werden, in denen alle Polen oder "Polacken" summarisch zu "Mercedesdieben" erklärt werden, oder in denen alle Russland-Deutschen der russischen Mafia zugerechnet werden und als "Russen" beschimpft werden. Dabei spielt offenbar gar keine Rolle, dass sich die so beschimpften Menschen rassisch von den einheimischen Deutschen kaum unterscheiden lassen. Es kommt hinzu, dass diese Menschen von ihren bornierten Verächtern nicht einmal wegen ihrer Rasse beschimpft werden, sondern vorwiegend wegen ihrer Zugehörigkeit zu einem sprachlich oder politisch definierten Volk oder auch nur zu einer Volksgruppe.

Eine andere Fehlanwendung des Wortes "Rassismus" liegt vor, wenn Chinesen wegen ihrer Besetzung Tibets als Rassisten beschimpft werden, obwohl sie rassisch den Tibetern nahe verwandt sind und beide Völker im Großen und Ganzen als Angehörige der mongoliden Großrasse gelten können. Was am Vorgehen der Chinesen zu kritisieren ist, ist nicht ihr Rassenhass, sondern der Hegemonial- und Großmachtanspruch der chinesischen Besatzer. Ein anderes Beispiel: wenn kraushaarige und schwarzhäutige nigerianische Dealer in ihr Herkunftsland abgeschoben werden, dann ist das nicht in ihrer Hautfarbe begründet, sondern darin, dass sie sich als gewerbsmäßige Drogenhändler ohne Aufenthaltserlaubnis strafbar gemacht haben. Rassistisch kann es dagegen sein, wenn Begleitpolizisten einen sich gegen die Zwangsabschiebung wehrenden Nigerianer mit Mitteln zu "beruhigen" versuchen, die vor ihren Augen zu seinem Tode führen, den sie möglicherweise in Kauf genommen haben. Es wäre sehr bedauerlich, wenn dies einem tatsächlich rassistischen Täter nicht nachgewiesen werden könnte. Aber wenn hellhäutige, blauäugige und hellblonde Dealer aus Nordrussland, die noch "arischer" aussehen als die Durchschnittsdeutschen, in ihr Heimatland ausgewiesen werden, dann doch nicht wegen ihrer äußeren Erscheinung, sondern wegen ihrer strafbaren Handlungen.

Die tatsächliche oder bloß vermeintliche Zugehörigkeit zu einer Rasse darf aber, ebenso wie die Zugehörigkeit zu einem religiösen Glauben, keinen Einfluss auf die moralische oder rechtliche Bewertung menschlichen Verhaltens haben. Ein Mörder ist ein Verbrecher unabhängig von seiner Hautfarbe und von der seines Opfers, und er darf zu lebenslanger Freiheitsstrafe allein dann und immer dann bestraft werden, wenn er aus Mordlust, zur Befriedigung seines Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln einen Menschen getötet hat. Seine Hautfarbe oder die seines Opfers erhöht nicht die Schwere seiner Schuld und kann sie auch nicht mindern. So ist Diebstahl nicht weniger strafwürdig, wenn der Täter ein hellhäutiger Dieb ist. Menschenhändler gehören bestraft auch dann, wenn sie die gleiche dunkle Hautfarbe wie ihre Opfer haben. In solchen Fällen von "Rassismus" zu sprechen, lenkt von der eigentlich relevanten Sache ab, dass es sich in diesen Fällen eben um Straftaten handelt. Es hat sogar den gegenteiligen und alles andere als wünschbaren Effekt, dass die Frage der Rasse wieder zum Thema von Stammtisch-Diskussionen wird. Deshalb sollte jemand, der davon überzeugt ist, dass es keine Menschenrassen gibt, selber das Wort "Rasse" möglichst gar nicht verwenden, weil er es dann auch nicht falsch verwenden kann, und das Wort "Rassismus" sollte er wirklich nur dann aussprechen oder schreiben, wenn er damit ein menschliches Fehlverhalten meint, das sich tatsächlich auf Rassenunterschiede bezieht und diese zur Begründung einer Abwertung (oder Bevorzugung) von Menschen missbraucht. Dagegen sollte man etwas, was es gar nicht gibt, möglichst nicht mit einem Namen versehen, und was im Moment nicht oder nur als Schatten da ist, sollte man nicht beschwörend herbeirufen. Früher sagte man: "Man soll den Teufel nicht an die Wand malen". Auch nicht Adolf Hitler.

Zur besseren Einordnung des hier Vorgetragenen möchte ich noch auf zwei Begriffe hinweisen, die ganz analog wie der Begriff "Rassismus" häufig falsch angewendet werden. Das gilt insbesondere für das Wort "Faschismus", das aus dem Lateinischen kommt (fascis = "das Rutenbündel", das im alten Rom in Verbindung mit einem Beil als Symbol der Strafgewalt den höchsten Würdenträgern vorangetragen wurde). Von den Anhängern des italienischen Revolutionärs und Politikers Benito Mussolini wurde dieses Symbol übernommen und zur Selbstbezeichnung ihrer Partei verwendet. Die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) übernahm in der Weimarer Republik dieses Wort zur Kennzeichnung praktisch aller anderen Parteien, z.B. der SPD als "Sozialfaschisten", des ZENTRUM als "Klerikalfaschisten", und natürlich auch entsprechend für die Nazifaschisten und andere Gruppen. Ein Schimpfwort zur diffamierenden Bezeichnung aller Anderen, die man bekämpft, eignet sich aber kaum für eine wissenschaftliche, etwa politologische Diskussion. Da wären Kennzeichnungen angemessener wie das Wort "totalitär" (das auch geeignet ist, kommunistische Diktaturen mit einzubeziehen), oder im Falle von Religionsgemeinschaften das Adjektiv "fundamentalistisch", oder im Falle von Personen "fanatisch" oder "chauvinistisch" etc. Die Bezeichnung "Faschismus" dagegen, die sich in der modernen Verwendung von der lateinischen Sachbedeutung und von der politischen Konkretisierung durch den "Duce" so weit entfernt hat, dass sie mit dem römischen Symbol der Amtswürde schließlich überhaupt nichts mehr zu tun hat, ist zunehmend zum politischen Schimpfwort verkommen und gehört in die Gesellschaft anderer Schimpfwörter wie etwa "hysterisch", die man selbst im Zorn nicht mehr gebrauchen sollte.

Wie die Begriffe "Rassismus" und "Faschismus" wird selbst das psychologische Fachwort "Vorurteil" von manchen Menschen inflationär verwendet, so als gäbe es außerhalb der eigenen Einschätzungen keine fundierten Urteile, nämlich jeweils nach genauerer Untersuchung eines Sachverhalts. Wenn ein Mensch einen bestimmten Sachverhalt anders beurteilt als ich, hat er dann schon ein Vorurteil? Er hat ein anderes Urteil, und es gibt Methoden, um in solchen Fällen herauszufinden, wer Recht hat oder in seinem Urteil wenigstens näher an die Wahrheit herangekommen ist. Es könnte ja sein, dass mein Gesprächspartner mit seinem Urteil den Sachverhalt besser getroffen hat als ich, aber bis sich das herausgestellt hat, nehme ich diese Chance auch für mich selbst in Anspruch. Mal sehn! Der pejorative Gebrauch des Wortes "Vorurteil" dagegen, also seine Verwendung zum Schmähen der Meinungen anderer Menschen und zu deren Beschimpfung, sollte zurückgewiesen werden.

Was mich an den Beispielen "Rassismus", "Faschismus" und "Vorurteil" in der Fehlverwendung dieser Begriffe so stört, ist das offenbar mangelnde Wortgewissen, die ins Beliebige führende Umdeutung von Wörtern oder Begriffen, die dann nicht mehr aussagen, was mit ihnen eigentlich gemeint war. Das weckt meine Kritik, weil Wörter primär zum je spezifischen Benennen und zum genaueren Unterscheiden dienen sollten, zur Verständigung über das eigentlich Gemeinte und zur Begründung von sachgerechten Urteilen. Ein solchermaßen redlicher Umgang mit Wörtern und Begriffen erscheint heute als bitter nötig, weil gerade im "globalen Dorf" ohnehin schon so viele Verständigungsschwierigkeiten bestehen, dass man keine weiteren Barrieren über ihnen aufbauen sollte, von den Sümpfen der sprachlichen Mehr- und Fehldeutigkeiten einmal ganz abgesehen.