2.3.9.10. Gesamteinschätzung und Konsequenzen

Wenn man versucht, die in den vorigen Abschnitten so unterschiedlichen Aspekte und Problemlösungsansätze in Beziehung zueinander zu bringen und zu einer Gesamteinschätzung weiterzuführen, so sprechen nicht nur biologische Daten und Fakten, sondern auch Beiträge von anderen Wissenschaften für eine abgestufte Schutzbedürftigkeit vorgeburtlichen Lebens, von der verschwenderischen und daher nur in Ausnahmefällen schützenswerten Produktion von Keimzellen bis zur glücklichen Geburt eines lebensfähigen Säuglings, dem dann alle Menschenrechte zukommen, so weit ein Baby sie überhaupt beanspruchen kann, zuallererst natürlich das Recht auf Leben und auf eine gut behütete gesunde Weiterentwicklung.

Um dieses Konzept praktisch umzusetzen, werden einige medizinisch und juristisch diskussionswürdige und wahrscheinlich akzeptable Gesetzesänderungen vorgeschlagen. Sie dienen auch dem Ziel, die diesen Problembereich betreffenden Gesetze verständlicher und damit auch für Laien überzeugender abzufassen und durch die Stringenz ihrer Abfolge und sachlichen Konsequenz ihre Befolgung zu erleichtern und damit die Rechtssicherheit zu erhöhen. In Abänderung bestehender Gesetze (nach den durch das Grundgesetz vorgeschriebenen Verfahrensweisen der Gesetzgebung) wäre nach R. Neudert, Deutsches Ärzteblatt 97, C-2607, zu fordern: ein abgestufter Rechtsschutz des noch ungeborenen Lebens im Sinne eines (von der Produktion von Keimzellen über die Befruchtung, Embryonalentwicklung und Reifung des Fetus bis zur Geburt) in definierten Stufen zunehmenden Lebensrechts - bis zur bestmöglichen Hilfe bei der Entbindung und danach. Auch U. Wiesing (Prof. Dr. med., Dr. phil.) diskutiert im Deutschen Ärzteblatt 96 (C-2300) als "3. Option" ein abgestuftes Lebensrecht für ungeborenes menschliches Leben, abhängig von den in jeder neuen Stufe erweiterten Überlebensfähigkeiten von Embryo und Fetus außerhalb des Mutterleibes. Solche Abstufungen sind bei einer allfälligen Güterabwägung zu bedenken, auch mit Rücksicht auf die gesundheitlichen und/oder sozialen Lebensinteressen der Mutter.

Daraus ergeben sich einige mögliche Konsequenzen: Die Verwendung embryonaler Stammzellen zur Behandlung von schweren Erkrankungen und die zu solcher Anwendung führenden Forschungen sind zulässig. Die Selektion von nicht erbgeschädigten Eizellen bei der P.I.D. ist zulässig. Der Abbruch der Schwangerschaft innerhalb von 12 Wochen nach der Empfängnis sollte nicht nur, wie bislang, unter Auflagen straffrei bleiben, sondern - verbunden mit Hilfsangeboten - im Sinne einer Fristenregelung erlaubt sein. Das könnte die §§ 218 von der Seltsamkeit befreien, dass nach ihnen ein Handeln straffrei bleibt, obwohl es ungesetzlich und eigentlich verboten ist. Die vorgeschlagenen Gesetzesänderungen könnten auch den vielfach angesprochenen Widerspruch aufheben, dass das Embryonenschutzgesetz strikt unter Strafe stellt, was der § 218 erlaubt: "Vor allem die faktische Fristenregelung bis zum dritten Monat stuft das Lebensrecht des ungeborenen Fetus erheblich geringer ein als das Embryonenschutzgesetz, das keine Ausnahmeklauseln enthält" (U. Wiesing: Widersprüchliche Regelungen. Deutsches Ärzteblatt 96, C-2299)

Die letzten Überlegungen, genau genommen sogar der ganze Text, sie können auch in zwei kurzen Thesen zusammengefasst werden:

  1. Das Leben als Mensch und das Weiterleben ist ein sehr hoher Wert, aber nicht der höchste aller Werte oder gar der einzige. Es gibt noch andere hohe Werte, und keiner von ihnen ist der höchste!

  2. Versuchen wir doch, alle diese hohen Werte, den einen und die anderen, so gut es geht miteinander zu verwirklichen, selbst wenn in einer Güterabwägung ein an sich hoher Wert hinter anderen hohen Werten etwas zurücktreten muss! Auf den Gesamtwert kommt es an. Der sollte wenigstens einigermaßen hoch sein und durch unsere Bemühungen sogar noch höher werden!