2.4.6.4. Zur Sozialpsychologie der Korruption

Neben den Täuschungsfähigkeiten des Politikers kommt aber auch die Täuschbarkeit seiner Anhänger und Wähler ins Spiel. Für sie ist das bei der Wahl entscheidende Kriterium nicht das Ausmaß der Korrumpiertheit der verschiedenen Kandidaten, auch dann nicht, wenn dies bekannt sein sollte. Viele Wähler fragen nur, wer von den zu wählenden Kandidaten »einer von uns« ist, und der wird dann gewählt, aber »keiner von denen«, denn der sollte nicht gewählt werden. Der Mann oder die Frau von der anderen Partei ist für die Anhänger der einen Partei ohnehin der Schlechtere, selbst wenn man ihm keine Korruptionsaffäre anhängen kann. Die Wahrnehmung und Einschätzung vieler Wähler funktioniert demnach selektiv: sie nimmt auf, was die Vormeinung (das »Vorurteil«) zu bestätigen scheint. So kann ein Politiker seine Überzeugungsarbeit darauf konzentrieren, selber zu betonen und von Anderen beteuern zu lassen, daß er der richtige Mann in der richtigen Partei ist. Und die Partei ist richtig, wenn sie emotional positive Schlagworte für sich besetzt hat, z.B. wenn sie christlich, sozial und demokratisch ist (bzw. liberal oder ökologisch), und wenn sie einiges Unerfüllbares verspricht und Sauberkeit und Ordnung und die Bekämpfung der Korruption fordert. Die Wähler sind ja so gutgläubig: man kann ihnen das Blaue vom Himmel herunter versprechen, ohne dass sie dies (etwa aus Erfahrung und Enttäuschung) in Zweifel ziehen. Denn auch die Wähler haben ein schlechtes Gedächtnis: sie können sich kaum noch an die unerfüllt gebliebenen Versprechungen früherer Wahlkampagnen erinnern. Bei all dem tritt die Frage nach dem Ausmaß der Korrumpiertheit des eigenen Kandidaten ganz in den Hintergrund.

Nach diesen im engeren Sinne psychologischen Überlegungen nun wieder zum allgemeineren Problem: Die Vorläufer der Korruption waren wie gesagt schon seit alters her üblich und sie sind in weiten Bereichen unserer Menschenwelt weiterhin üblich, in einzelnen Ländern, so am extremsten in Nigeria, gang und gäbe. Sie fördern den (groß)familiären Zusammenhang und sind gut für die Sippe. Es gibt einige Sprichwörter, die diese Zusammenhänge ansprechen, z.B. aus dem Neuen Testament: »Wer hat, dem wird gegeben, und wer nicht hat, dem wird noch genommen«, oder das drastisch-deutliche deutsche Sprichwort: »Der Teufel scheißt immer auf den größeren Haufen«, d.h. wer viel Vieh und damit den größeren Misthaufen hat, der kann dann leicht noch reicher werden. Auch die Korruption im engeren Sinne ist etwas ganz Alltägliches, jedenfalls in den Bananenrepubliken (also in Mittelamerika und Westafrika), aber auch in Süd-, Südost- und Ost-Asien, möglicherweise auch in Hessen. In solchen Ländern wundern sich die Leute, wenn ein allzu preußischer Beamter sich nicht bestechen läßt: »Was ist denn mit dem los,« fragen sie sich, »hat er denn keine Familie, keine Verwandten zu versorgen? Kümmert er sich denn gar nicht um seine Neffen und Vettern?«