Ich gehe als erstes der Frage nach, wie es in Hinsicht auf menschliches Verhalten um die faktische Realisierung eines "summum bonum" steht: Wie können wir uns den Besten aller Menschen vorstellen? Sind menschliche Positivitäten bis in ihre Extreme miteinander kombinierbar, d.h. tatsächlich bei ein und demselben Menschen in extremer Ausprägung vorfindbar? In meiner Doktorarbeit über "Die Indikationsstellung in der psychologisch begründbaren Einzelfallhilfe" (1966, Heidelberg) habe ich mich u.a. mit dem Problem befaßt, wie sich unterschiedliche Einzeltests kombinieren lassen, um mit ihnen einen Wert für die Gesamt-Intelligenz eines Menschen festzustellen (S. 181): Wie kann man aus den Ergebnissen einzelner Subtests einer Testbatterie, z.B. von Tests für Wortsinnverständnis, Rechenfähigkeit, logisches Schließen ("Reasoning"), räumlich-konstruktives Denken, Merkfähigkeit, Flüssigkeit der Ideenproduktion, visuomotorische Koordination etc., einen Gesamtwert für die Intelligenz ("IQ") eines Probanden ableiten? Das Ergebnis der zunächst rein statistisch begründeten Analyse ist wohl auch für psychologische Laien nicht überraschend: Unter der Voraussetzung, dass die einzelnen Subtestwerte innerhalb einer Population wenigstens schwach positiv miteinander korrelieren, d.h. dass ein hohes Ergebnis in einem Test in angebbarer (wenn auch geringer) Wahrscheinlichkeit ein ebenso hohes Ergebnis auch in anderen Tests erwarten läßt, dann ist es, je mehr faktoriell unterschiedliche Tests zum Gesamtergebnis beitragen und je geringer die Korrelationen zwischen diesen Einzeltests sind, um so unwahrscheinlicher, dass jemand in allen Testergebnissen gleichermaßen hohe Werte erreicht. Dieser Zusammenhang läßt sich durch eine Formel ausdrücken, die ich im Anhang meiner Dissertation (S. 196) wiedergegeben habe.
Ich kann diese statistische Gesetzlichkeit auch auf Charakter-Eigenschaften anwenden: Ein Mensch, der extrem fromm ist (was einigermaßen selten ist), kann offenbar nicht zugleich auch extrem klug und auch noch extrem tatkräftig und extrem warmherzig sein, denn jede dieser ohnehin extrem seltenen Vollkommenheiten kombiniert sich um so seltener, praktisch gar nicht, mit den jeweils anderen, gleichermaßen seltenen Vollkommenheiten, jedenfalls nicht unter Menschen, die wir kennen lernen können, jedenfalls nicht in der Welt, in der wir leben. Die Seltenheit extrem positiver Merkmalsausprägungen steigert sich bis zu einem höchsten Grad der Unwahrscheinlichkeit, wenn es dabei um das gleichzeitige Vorhandensein vieler unterschiedlicher Arten positiver Werte in ein und derselben Person geht. Das macht ja den nivellierenden Effekt des Zehnkampfes in der Leichtathletik aus: der beste Zehnkämpfer kann nur ausnahmsweise mit den Besten der Einzeldisziplinen mithalten. In der Konkurrenz mit den Spezialisten läuft und springt und wirft er notwendigerweise ... hinterher. Die Umkehrung gilt auch: wer in sehr vielen Hinsichten Werte erzielt, die zwar deutlich und auf positive Weise über dem Durchschnitt liegen, aber längst nicht an Spitzenwerte herankommen, der kann im Gesamtergebnis dennoch exzeptionell gut sein. Vielleicht ist ja "der Beste aller Menschen", der nämlich in allen möglichen Hinsichten gut ist, im Einzelnen nur leicht überdurchschnittlich gut. Wir könnten ihn, wegen der nur leicht über dem Durchschnitt liegenden Positivität seiner vielen Vorzüge, neben dem extremen Spezialisten einer bestimmten einzelnen Höchstleistung (die meist in anderen Hinsichten von einigen Schwächen begleitet wird!) glatt übersehen!