Es stellt sich nun die Frage, ob die Pathogenität bestimmter weltanschaulicher Orientierungsangebote ggf. durch Korrekturen gemindert werden kann. Wenn Glaubensorientierungen selber "verrückt" sein können, wie können sie dann zu einer Besserung hin "behandelt" und gar einer "Heilung" zugeführt werden? Gibt es dafür vertretbare "Therapieziele" und erfolgversprechende "Behandlungsmethoden"? Mit diesen Fragen ist natürlich nicht intendiert, die Glaubensfreiheit einzuschränken, die zu unseren wichtigsten Grundrechten gehört. Korrekturbedürftig ist ja nicht das individuelle Glaubenwollen und Glaubenkönnen, denn das muss weiterhin jedem freigestellt sein. Es sollte sogar weniger als bisher von Einschränkungen (wie Kindertaufe, frühe Missionierung im Kindergarten, "Religionsunterricht" in der Schule etc.) bedroht sein. Einer Korrektur bedürftig im besonderen Maße sind vielmehr Glaubensnötigungen und Bekenntniszwänge, "Gehirnwäsche" und andere derartige Einflussnahmen, die dazu angetan sind, die verteidigenswerte Glaubensfreiheit jedes Einzelnen nicht nur einzuschränken, sondern geradezu aufzuheben. Aber vielleicht sollte der Gedanke, pathogenen Glauben zu reformieren, ganz fallengelassen werden, denn es gibt nicht nur beim kranken Einzelnen so etwas wie Therapieresistenz, sondern auch in Bezug auf Glaubensrichtungen, Glaubensinhalte und kirchliche Einrichtungen. Dies vor allem, wenn der mögliche "Therapieerfolg" zu einem weitgehenden Machtverlust kirchlicher Eliten und Institutionen führen könnte.
Was zu wünschen, zu fordern und zu realisieren bleibt, ist eine breite Aufklärung der interessierten Öffentlichkeit über solche Zusammenhänge und das Anbieten von überzeugenden Alternativen, von besser nutzbaren und weniger schädlichen Orientierungen. Dementsprechend wird für die Kreitlers die Kulturkritik zum Instrument der Prävention: "(Man) wird daher die pathogenen Faktoren des gesamten Kulturbetriebs aufzuzeigen haben und die Bausteine zu einer Orientierung liefern, die den (realen, vor allem den) psychologischen und sozialen Gegebenheiten gut angepasst ist" (S. 157). Der seelisch Gesunde sollte auch dann gesund bleiben können, wenn er beispielsweise das Problem des Todes nicht ignoriert, sondern es ernsthaft überdenkt, und er sollte dabei dennoch nicht in Gefahr geraten, sich durch desorientierende Extremalisierungen in schizophrene Verzweiflung hineinmanövrieren zu lassen.