Nach der weiter oben diskutierten Betonung der Subsidiarität der Orientierungen kann ich abschließend dieses Problem auch vom anderen Ende her angehen und fragen: Wer eigentlich braucht überhaupt eine quasi philosophische Gesamtorientierung? Üblicherweise sucht nach einer solchen Gesamtorientierung der Philosoph selbst, jedenfalls anfangs. Irgendwann aber geht es ihm doch weniger darum, dass er sie noch für sich selber dringend benötigen würde, um in der Welt zurecht zu kommen. Er möchte sie dann eher im Sinne einer Dienstleistung anderen Menschen zur Verfügung stellen, wohl wissend, dass nicht jeder Mensch danach fragt, oder genauer: kaum einer. Aber er kann ihnen diese Dienstleistung ja - freibleibend und zur gefälligen Verwendung! - anbieten. Möglicherweise gibt es sogar zunehmend Bedarf für eine bessere Gesamtorientierung, wenn viele Menschen mit alter Religion oder Weltanschauung nicht mehr auskommen und in deren Mängeln orientierungslos hängen geblieben sind. Die Übernahme neuer Orientierungsangebote (im Plural!) wird erleichtert, wenn der seelisch Gesunde diese nicht als fremd erlebt und abwehren muss, sondern sie als etwas erfährt, mit dem er leicht vertraut werden und das er sich leicht aneignen kann. Ein solches Angebot sollte in seiner Klarheit und Orientierungskraft von Anfang an gut akzeptierbar sein und direkt in realitätsbezogenes Handeln umgesetzt werden können, ohne erst durch autoritäre Interpretationen halbwegs verständlich gemacht und vom seelisch Gesunden "verarbeitet" oder "relativiert" werden zu müssen.
Dringlicher wäre eine angemessene Gesamtorientierung all denen anzubieten, die in vielen Hinsichten für eine größere Gemeinschaft von Menschen verantwortlich sind, z.B. im politischen Alltag die gewählten obersten Repräsentanten eines Landes oder Staates, die Leiter und Koordinatoren einer größeren Institution. Einem "Führer" wird man eine solche Dienstleistung nicht anbieten können (M. Heidegger hat dies mit Hitler vergeblich versucht!), denn der Führer weiß ja schon, was sein Ziel ist, und hat vielleicht schon allzu viele seiner Anhänger davon überzeugt, dass nur er dieses Ziel nur so erreichen kann. Bei ihm ist auch in dem Falle, dass er seine Leute dennoch in die Irre zu führen beginnt, seine Absetzbarkeit nicht genügend zu sichern. Aber, mit einem Seufzer gesagt, welcher Mächtige hört schon auf einen Philosophen! Er reagiert vielleicht nur auf Gegenmacht. Am besten wäre es, wenn im Sinne der Gewaltenteilung kein allmächtiger Herrscher (und auch kein allwissender Philosoph!) allein das Sagen hätte. Gegenseitige Kontrolle der Mächte könnte dann manche philosophische Sozial-Utopie erübrigen, und in Verbindung mit gegenseitig offener Kommunikation erübrigt sich dann schließlich auch der alle anderen im Geiste kontrollierende Denker des Ganzen, der Philosoph! Er könnte ohnehin das Ziel haben, mit seinen Beiträgen zur Gesamtorientierung sich letztendlich selber überflüssig werden zu lassen.