2.4.9. Über Verschwörungsängste. Politische und psychologische Ansätze

Inhaltsverzeichnis

2.4.9.1. Zehn Thesen zu einer allgemeinen Theorie der Verschwörung
2.4.9.2. Politologische Aspekte der Verschwörung
2.4.9.3. Es gibt realistische Befürchtungen, die politisch ausgenutzt werden
2.4.9.4. Verschwörungsängste von seelisch Kranken
2.4.9.5. Realistische Einschätzung der Gefahr einer Verschwörung
2.4.9.6. Über den Umgang mit realen Verschwörungen

Im ersten Teil meiner Abhandlung werde ich in 10 Thesen eine allgemeine, in der Sache politologische Theorie der Verschwörung vortragen, und im zweiten Teil werde ich diese Sichtweise auf unsere gegenwärtigen Verhältnisse anwenden und dabei nach praktischen Konsequenzen fragen. Dann sollen neben politischen Verschwörungsideologien auch psychiatrische Aspekte eines Verschwörungswahns diskutiert werden.

2.4.9.1. Zehn Thesen zu einer allgemeinen Theorie der Verschwörung

  1. Die bloße Geheimhaltung innerhalb eines privaten Bundes kann zum Schutz gegen Übergriffe einer Macht dienen, ohne schon verschwörerisch zu sein. Zur Verschwörung gehört dagegen ein Mindestmaß an Aggressionsbereitschaft.

  2. Zu einer Verschwörung gehören mindestens zwei, die sich mit einem Schwur miteinander gegen einen Mächtigen oder gegen eine Macht verschworen haben.

  3. Verfassungsmäßige, frei gewählte und abwählbare Repräsentanten eines Rechtsstaates brauchen in der Regel keine Verschwörung zu fürchten.

  4. Personen oder Gruppen, die selber mittels einer Verschwörung die Macht und schließlich Alleinherrschaft errungen haben, trauen ihren Kritikern und Opfern zu, was sie selber zuvor getan haben, und deshalb fürchten sie Verschwörungen.

  5. Es gibt ein Recht der Bürger eines Staates, sich gegen einen Alleinherrscher zu verschwören und ihn notfalls zu töten, wenn der bloße öffentliche Protest nur zur Verschärfung der Unterdrückungs-Maßnahmen des Diktators und seiner Clique führt.

  6. Das Vorbereiten und Durchführen einer Verschwörung gelingt aber nur, wenn unter den Verschwörern politisches Urteilsvermögen, Teamfähigkeit, Verlässlichkeit, Verschwiegenheit, Risikobereitschaft, Entschlossenheit und eine Portion Glück zusammenkommen.

  7. Andererseits könnte auch in einem Rechtsstaat eine politisch mächtige Person als "Tyrann" diffamiert worden sein, nur um sie mit dem Anschein der Rechtfertigung und daher mit gutem Gewissen ermorden zu können.

  8. Verschwörungsängstliche Diktatoren neigen dazu, bloße Abweichler zu "Verschwörern" zu erklären, um sie leichter bekämpfen und liquidieren zu können, in der Regel mit Hilfe einer eigens dazu aufgebauten Geheimpolizei.

  9. Der mittels Verschwörung an die Macht gekommene Diktator kann schließlich in paranoider Einengung sogar seine engsten und immer noch loyalen Mitkämpfer verdächtigen, sich gegen ihn verschworen zu haben.

  10. Aus der begründeten Angst, zu Verschwörern erklärt und brutal verfolgt zu werden, können weite Kreise eines unterdrückten Volkes auf Protest und auf passiven und aktiven Widerstand verzichten. Es ist schändlich, wie sie dann selbst die schlimmsten Missstände tolerieren, statt sich gegen ihren Urheber zu verschwören.