2.4.9.6. Über den Umgang mit realen Verschwörungen

Wie sollten wir also mit Verschwörern und Verschwörungen, und mit der Beschuldigung und Verfolgung von vermeintlichen Verschwörern umgehen? Vielleicht müsste man als erstes Kriterien definieren und sich auf ihre methodische Anwendung einigen, nämlich wie denn herauszufinden ist, ob etwas wirklich eine Verschwörung ist, denn es könnte sich ja einfach darum handeln, dass einer darauf besteht, eine eigene Meinung haben zu können! Und wenn es wirklich eine Verschwörung ist, dann ist weiter zu fragen, ob sie im positiven Sinne einer Revolution des Fortschritts die Beseitigung eines Tyrannen und die Befreiung der von ihm Unterdrückten vorhat, oder ob sie im negativen Sinne eines reaktionären Staatsstreichs von oben dazu ansetzt, die Demokratie zu beseitigen und das Volk zu unterdrücken.

Was hilft gegen die Verschwörungen von oben (denn die von unten sind manchmal bitter nötig)? Als erstes müssen (mit Verschwörung oder wenn möglich ohne sie) Alleinherrscher abgesetzt werden, denn wo keine Alleinherrscher, da zumindest keine Verschwörungen mehr gegen sie! Aber es bringt nichts, wenn ein konservativer Alleinherrscher von einem "revolutionären" Alleinherrscher abgelöst wird. Deshalb müssen wir alles dafür tun, dass sich die Prinzipien der Gewaltenteilung und gegenseitigen Kontrolle weltweit ausbreiten, dass Monopole verhindert oder zerschlagen werden, dass Religionen ihren Absolutheitsanspruch relativieren, statt ihn gegen andere Religionen, die gleichermaßen absolutistisch sind, zu behaupten und beizubehalten. Wir müssen den Pluralismus auf allen Ebenen unterstützen und auch dem Polytheismus neue Chancen geben. Zu alledem hilft eine gut funktionierende Öffentlichkeit, ein globaler Austausch der Meinungen, freier Zugang zu Informationen, gemeinsame offene Diskussion und Klärung wichtiger Anliegen. Die einzelnen Menschen sollten zur Zivilcourage ermuntert werden, zur Aufkündigung jeder erzwungenen und besonders jeder menschenfeindlichen Loyalität.

Gegen die Verschwörungen von unten hilft am besten die Beseitigung (Behebung) von Missständen in einem solidarischen Kampf gegen Not und Elend. Außerdem sollten die Mehrheits-Mächte daran gehindert werden, Minoritäten oder überhaupt kleinere Gruppen in die Illegalität zu treiben. Man sollte einige ausgrenzende Tabus aufheben (außer gegen Ideologien und Gruppen, die im hohen Maße intolerant sind). Auch das Verbot des Nachdrucks von Hitlers "Mein Kampf" gehört zu solchen verzichtbaren Tabus. Denn wie für andere Bücher gilt auch für dieses Buch, dass jemand, der es wirklich aufmerksam von Anfang bis Ende gelesen hat, dann Schwierigkeiten bekommt, an die darin vertretene Ideologie und ihren Autor noch zu glauben. Man lese "Mein Kampf" und ... und ... und ... , und man ist gegen Nazismus und gegen ... und gegen ... immunisiert!

Was hilft dagegen, selber zum Verschwörer erklärt zu werden? Das erste und wichtigste: Man sollte in einem Land leben, das von keiner Staatsreligion oder Einheitspartei beherrscht wird, sondern in dem die Prinzipien der Gewaltenteilung realisiert werden. Nur dann kann man sich auf ein Mindestmaß von Rechtsstaatlichkeit und Neutralität von Polizei und Rechtswesen verlassen. Wer als freiheitsliebender aufgeklärter Polytheist nicht in einem solchen Land lebt, sollte alles dafür tun und alle Hilfe bekommen, in ein solches Land auswandern zu können. Ein Zweites: mit Mächten, die man nicht überwinden oder kontrollieren kann, sollte man vorsichtig und höflich umgehen, ohne sie über Gebühr zu reizen und ihnen Anlass zu weiterer Repression zu geben. Vielleicht gelingt es auch, ihren Respekt und ihre zumindest partielle Unterstützung zu erlangen und zu nutzen. Man kann ggf. wie Montaigne anbieten, zwischen verschiedenen Mächten eine Vermittlerrolle einzunehmen, als ehrlicher Makler, denn das konnte einem Montaigne dazu verhelfen, selbst von Verfolgung verschont zu werden und genügend lange am Leben zu bleiben. Weiterhin sollte man vermeiden, selber Macht zu beanspruchen und zu demonstrieren, anderen Angst zu machen, jemanden oder eine Gruppe in die Enge zu treiben und in Glaubensnot zu bringen. Man sollte wann immer möglich die Wahrheit sagen, aber ohne die Tendenz, dabei andere zu schmähen, zu beleidigen, zu kränken, im Kern ihrer religiösen Identität zu treffen. Man sollte ihre Symbole nicht in den Dreck ziehen. Man sollte die Öffentlichkeit suchen, viele Menschen, die einen kennen und vielleicht auch mögen, und auch Freunde, die einem zu helfen bereit sind, häufiger kontaktieren. Das ist nicht alles, was dazu zu sagen wäre, aber es sind wohl doch ein paar beachtenswerte Punkte. Aber man sollte keine zu große Angst haben, selber zum Verschwörer zu werden, wenn es wirklich geboten ist, und wenn keine andere Art von Reform oder auch nur Widerstand möglich ist.