Sie konnte auch nicht "nein" sagen zu dem einzigen ihr noch verbliebenen Buben, dessen Wünschen sie keine Grenzen setzen konnte, so dass Adolf bei ihr mit einer bedingungslosen Totalerlaubnis für all sein Tun rechnen konnte. Adolf hatte daher schon früh die Erfahrung machen können, dass er seinen Willen praktisch immer durchsetzen konnte. Er hatte von seiner Mutter offenbar meist gleich bekommen, was er gerade von ihr haben wollte. Sie hatte große Schwierigkeiten, ihm einen Triebaufschub zuzumuten: etwa eine Weile zu warten, eine Weile auf ihre Gegenwart zu verzichten. Das Abweisen fiel ihr schwer, weil ihr kleiner Adolf der einzige war, der immer etwas von ihr wollte, der sie immer brauchte (so wie es im Schlager heißt: "I need you!") fast wie einer, der in sie verliebt war. Und deshalb glaubte er alles mit ihr machen zu können, was er wollte. Später hat er versucht, mit seiner großen Liebe "Deutschland" alles zu machen, was er wollte. Das war aber auch Deutschland nicht gut bekommen!
Eine wichtige kindliche Forderung, auf deren Erfüllung Kleinkinder nur ungern verzichten, vor allem wenn sie außer ihrer Mutter keine andere erwachsene Beziehungsperson haben, ist die ständige Präsenz der Mutter. Sie erlauben ihrer Mutter dann noch nicht einmal, allein auf die Toilette zu gehen, allein sich zu waschen und zu pflegen, ein ungestörtes Schläfchen zu halten. Wenn eine alleinerziehende Mutter (oder eine, deren Ehemann beruflich und auch nach der Arbeit die meiste Zeit außer Hause ist, wie das bei Aloys Hitler wohl der Fall war) den kindlichen Wünschen nach Dauerpräsenz nachgibt, statt sich auch mal durch eine andere Person vertreten zu lassen, dann kann sie zur Sklavin eines kleinen Tyrannen werden, kann ihrem Kind so etwas wie ein Machtgefühl vermitteln, einen infantilen Größenwahn: ein im Vergleich mit ihm selbst so viel größeres und eigentlich viel stärkeres Wesen dennoch zu beherrschen! So ähnlich fühlt sich das junge Mädchen, das beim Springreiten sein so großes Pferd über ein Hindernis springen läßt, oder auch der überall herumgeschubste Sozialhilfe-Empfänger, wenn ihm sein Deutscher Schäferhund aufs Wort gehorcht! Und wehe, wenn der Hund einmal nicht sofort auf ihn hört, dann kann er von seinem "Herrchen" erbarmungslos abgestraft werden!
In Hinsicht auf das Bestimmenkönnen war Adolf schon bald viel stärker als seine Mutter: er war aggressiver und entwickelte einen stärkeren Willen und konnte wohl auch im positiven Sinne überzeugen, nämlich mit kindlich-jungenhaftem Charme irgendwelche Verwöhnungen und vor allem Erlaubnisse so lange einfordern, bis er sie bekam. Er lernte auch andere für sich einzunehmen, zu drängen und mit herrischem Blick zu fordern und so alles zu erreichen, was er wollte. Er war Mamas Verführer und später der Führer seiner kleinen Freunde, mit denen er sich draußen herumtrieb, von außen gesehen schon als Kind ziemlich eigenwillig und rücksichtslos. Und er wird seine Mutter, wenn sie mal nicht "spurte" oder einfach nicht mehr konnte, ganz schön unter Druck gesetzt haben, etwa dass sie gar nicht lieb sei, dass sie ihn wohl nicht mehr mag, dass sie richtig böse sei - bis sie schließlich tat oder zuließ, was er wollte. Hat er sie wegen ihres Nachgebens dann noch mehr erpressen können? Hat er dann noch mehr aus ihr herausgeholt? Schließlich konnte er auch mit Drohungen, und wenn nichts anderes wirkte, auch mit Schreien seine Mutter und später andere Menschen kirre machen. Das wirksamste Druckmittel war wohl, etwas zu tun, was in seiner Mutter Angst um sein Leben oder um seine Gesundheit aufkommen ließ, beispielsweise das Riskieren einer unfallträchtigen Situation oder das Verschwinden über längere Zeit und besonders die implizite oder offene Suicid-Drohung.
Woher ich all das hier Behauptete weiß? Wo doch aus den wenigen Zeugnissen aus Hitlers Kindheit und Jugend so wenig darüber bekannt ist und keiner mehr dazu befragt werden kann? Was ich hier schildere, sind darüber hinaus natürlich auch Rekonstruktionen aus Hitlers Verhalten als Erwachsener, und zwar unter der immerhin plausiblen Voraussetzung, dass er dieses Verhalten zuvor einmal gelernt haben musste, am nachhaltigsten wohl in seiner Beziehung zu seiner Mutter, dem wichtigsten Menschen, an den er sich erinnern konnte.
Adolf selber brauchte für das, was er seiner Mutter abforderte, keine
Gegenleistung zu bringen, es genügte, wenn er ihr gegenüber immer wieder
einmal den Eindruck aufrechterhielt, ihr "Liebster-Bester" zu
sein. Denn ein verwöhntes Kind lernt zunächst nur, Liebe zu fordern -
aber es lernt dabei nicht automatisch auch, selber zu lieben: dem (der)
Anderen etwas Gutes zu tun, auf ihn (auf sie) Rücksicht zu nehmen, seine
(ihre) Sache zur eigenen zu machen, sich in seine (ihre) Wünsche einzufühlen,
und freundlich irgendwelche Vorgaben für erwartete Gefälligkeiten zu investieren.
Adolf hatte es nicht nötig, zu seiner Mutter lieb zu sein, das heißt auf
ihre Wünsche einzugehen, für sie etwas zu tun. Seiner Mutter genügte es
ja, dass er lebte und schon von vornherein ihr Liebster war, ein schönes
Kind mit strahlend blauen Augen, jungenhaft expansiv und schon etwas herrisch,
ein kleiner Macho, aber auch charmant, zumindest wenn er etwas von ihr
wollte, und der mit solchem Charme auch ganz erfolgreich war. Wenn ihm
dagegen jemand nicht so aufopferungsvoll zu Diensten war wie seine liebe
Mutter, dann konnte er von ihm sehr enttäuscht sein, geradezu wütend,
bis zum Hass: den konnte er dann auf Dauer verachten, der war für ihn
dann der letzte Dreck, der gehörte schließlich zu den Bösen, die aus dieser
Welt am besten ganz verschwinden sollten. Solche Ansprüchlichkeit ist
Ausdruck einer narzisstischen Selbstbezogenheit; und sofern dabei überhaupt
Liebe ins Spiel kommt, ist es eher Selbstliebe ohne jede Rücksicht auf
das Objekt der Liebesforderungen.