Man kann wohl zweierlei Arten von phantasierter Triebbefriedigung unterscheiden: Erstens kann einer quasi "privat" in Träumen (in seinem "Privattheater") sich etwas ausmalen, was sich von der sozialen Realität weit entfernen kann, aber - eben wegen das Fehlens einer "widerständigen Realität" - in sich höchst stimmig sein und bleiben kann. Wenn er diese Träume schließlich subjektiv für wichtiger und schließlich "realer" nimmt als die intersubjektiv erfahrbare Wirklichkeit, dann kann dies zu einem schizoiden Rückzug führen und schließlich ein erstes Symptom einer Psychose sein. Zweitens kann einer versuchen, mitagierende Mitspieler zu finden und zu engagieren, die sich auf die Rolle von "Rollenausfüllern" und "Stichwortgebern" beschränken lassen, also sich von dem Phantasie-Helden, der zugleich typischerweise der Spielleiter ist, sagen lassen, was sie zu tun haben, um sich in sein Agier-Theater stimmig einzupassen, und die möglichst nur noch das sagen oder fragen, was der Spielheld hören möchte. Da es in diesem Falle im Unterschied zu privaten Tagträumen "lebendige", reale Mitspieler sind, kann das Zusammenspiel des Helden mit ihnen als realitätsbezogen, als "realistisch" erscheinen, anscheinend entfernt von den bloßen Phantasien eines Träumers. Aber mit Anderen agierte und damit in Handlungen umgesetzte Träume verlieren dadurch nicht automatisch ihren irrealen, realitätsverleugnenden oder realitätsabweisenden Charakter; sie bleiben traumhaft auch dann, wenn in ihnen die Phantasien eines einzelnen in ein Theaterspiel von mehreren umgesetzt werden, und besonders dann bleiben sie traumhaft, wenn die Mitspieler in den Traum des Initiators einsteigen und beginnen, ihn agierend "mitzuträumen". Schließlich können sie sich bereit finden, ihn selber privat weiterzuträumen, z.B. in Meditation und Gebet, aber auch in Tagträumen, die inhaltlich in der Nähe der Träume des Initiators bleiben.
Adolf Hitler neigte offensichtlich zeitlebens eher zu der zweiten Art phantasierter Triebbefriedigung, zum Traum-Agieren unter Zuhilfenahme von Mitspielern, und er fing damit schon als Kind an, als er in der Rolle des unbestrittenen Anführers mit seinen kleinen Freunden Trapper und Indianer oder "Räuber und Gendarm" spielte. Auch jedes psychisch gesunde Kind kann auf diese Weise eigene (und auch fremde) Träume agieren, z.B. im Rollenspiel. Häufig ist dabei eines der Kinder der "Bestimmer" und weist einem anderen Kind oder mehreren Kindern die Rolle(n) zu: "Du wärst jetzt das Baby und ich die Mutter!" oder "Ich kämpfe jetzt mit dir und du bist dann tot. Dann musst du dich hinlegen und die Augen zumachen!" Solche Spiele sind vor allem bei Mädchen sehr beliebt, im Kindergartenalter auch noch bei Jungen. Normal entwickelte Kinder können es aber nicht gut ertragen, wenn eines der Kinder aus der Spielgruppe auf Dauer eine begehrte Rolle okkupiert, sich als alles bestimmender Spielleiter aufspielt und den anderen Kindern ihre Rollen zuzuschreiben oder gar ihnen selbst dann aufzuzwingen versucht, wenn sie diese bestimmte Rolle gerade mal nicht spielen wollen, sondern lieber eine andere.
In der Weise, wie Sigmund Freud das Träumen als vorwiegend "primärprozesshaftes Denken" verstand, könnte man beim Agieren auch von einem vorwiegend "primärprozesshaften" Tun oder Handeln sprechen, insbesondere wenn dieses Tun weitgehend ohne Kontrolle oder Steuerung durch den "Sekundärprozess" (= bewusstes Wahrnehmen, Denken, Logik, Realitätsbezug etc.) unmittelbarer Ausdruck eigener traumhafter Phantasien ist. Aber es gibt auch den Fall, wie in der Hypnose oder in der sexuellen Verführung oder in der politischen Agitation, dass die unbewusst determinierten traumhaften Phantasien des Einen ziemlich direkt auf das Unbewusste seines von ihm faszinierten Partners oder seiner Hörer einwirken und diese zu Handlungen motivieren, die eigentlich nur von solcher "primärprozesshaften" Fremdbestimmung her erklärbar sind, wie z.B. Massenhysterien, Massenselbstmord von Sektenangehörigen (deren Sektenführer sich dann manchmal aus dem Staube gemacht hat), sich ausbreitende Panikreaktionen, sich überschlagende Begeisterungsstürme, Massenohnmacht kleiner Mädchen bei Pop-Konzerten usw. Das primärprozesshafte Tun ist vergleichbar dem, was in der Psychoanalyse als "Agieren" bezeichnet wird, z.B. ein Ausagieren von Phantasien durch den Patienten in sich wiederholenden Handlungen, statt die Phantasien in der Behandlungsstunde zu verbalisieren und dadurch besser (sekundärprozesshaft) zu verstehen, ähnlich auch das Mitagieren des Therapeuten, der die unbewusst determinierten Übertragungsangebote seines Patienten unerkannt annimmt und dann die Rolle agiert, die ihm sein Patient aus inneren Gründen immer wieder zuschreibt. Es gab in der klassischen Psychiatrie den Begriff der "folie à deux", wenn z.B. ein zunächst noch halbwegs psychisch gesunder Lebenspartner die Verrücktheiten seines psychotisch gewordenen Ehepartners, Elternteils oder Kindes zunächst mitspielt und dann auf Dauer übernimmt. Insbesondere unter der Bedingung sozialer Isolation können ganze Familien "mitspinnen", und je mehr Mitspieler dies tun, um so mehr verliert ihr Mitagieren eines Traumes oder Wahns des Kranken den Charakter der Verrücktheit, wenn es schließlich doch fast alle tun. Und wer da nicht mitmacht, wer die mit klaren Sinnen erfahrbare Realität gegen den Gesinnungsdruck der Anderen zu verteidigen sucht, der kann dann leicht selber in die Rolle des "seltenen Spinners" geraten: "Der glaubt doch tatsächlich nicht an das Weiterleben nach dem Tode! Der glaubt nicht mal an Gott!" Das konnte dann für ihn in früheren Zeiten sogar lebensgefährlich werden!
Wieder zurück zu Hitler: Ihm genügte seine Mutter bald nicht mehr als zustimmendes Publikum. Er brauchte Mitspieler, schon für die einfachen "Räuber-und-Gendarm"-Spiele, in denen er als Räuberhauptmann seine Bande in Abenteuer führen oder als Gendarm alle hinter Schloss und Riegel bringen konnte, vor allem aber um Phantasien zu "realisieren", die von seiner frühen Karl-May-Lektüre angeregt worden waren. Karl May, dessen Bücher Hitler noch als Erwachsener gern las, hatte ihm vorgemacht, wie einer seine Phantasien so lenken kann, dass seine Geltungs- und Erfolgswünsche schließlich immer in Erfüllung gehen, und dass er (ggf. mit einem Kumpan wie Winnetou) immer wieder schlussendlich als Sieger dasteht. Karl May alias Old Shatterhand schaffte dies meist schon mit Bluff und Täuschung seiner Gegner und mit Ablenkungsmanövern, Überraschungsüberfällen und -Angriffen, mit denen er "blitzkriegartig" einen Gegner nach dem anderen ausschalten konnte, sogar oft ohne Blutvergießen. Auf diese Weise konnte er immer wieder Schlimmes verhindern und Gutes tun: von ihren Jagdgründen vertriebene Indianer in ihre angestammten Gebiete zurückführen, zwischen die Fronten geratene "Bleichgesichter" befreien, finstere Machenschaften der Eisenbahnmagnaten und Landräuber aufdecken, Recht und Ordnung wiederherstellen usw. Wenn Adolf das mit den von ihm dominierten, eher kleineren oder jüngeren Bandenmitgliedern nachzuspielen versuchte, dann ging das am besten, wenn es ihm als oberstem Bestimmer gelang, seine Mitspieler zu Statisten und Wunscherfüllern zu machen, die ihm (wenigstens während ihrer Spiele) aufs Wort gehorchten.
Wenn ich hier den von Freud in der psychoanalytischen Behandlung von Neurotikern entwickelten Begriff des "Agierens" auf Hitler angewendet hatte, so muss ich dazu gleich einschränkend bemerken, dass Hitler in seinem Agieren keineswegs neurotisch introvertiert (gehemmt, unsicher, selbstkritisch etc.) war, im Gegenteil, er war eher soziopathisch expansiv und aggressiv. Nur wenn er damit nicht durchkam, wie gegenüber seinen Lehrern, wenn er schließlich scheiterte, wie in den höheren Klassen der Schule, und nach weiterhin gravierenden Enttäuschungen (z.B. als er nicht in die Kunstakademie aufgenommen wurde, nicht zum Architekturstudium zugelassen wurde), dann zog er sich, wenn seine erste blinde Wut verraucht war, zunächst einmal beleidigt in seine nunmehr wieder private Phantasiewelt zurück, in der er weiterhin der große Held war und es im Prinzip bleiben konnte, aber dies immer nur so lange, bis er bei nächster Gelegenheit, wenn er wieder Oberwasser bekam oder Mitspieler und Zuhörer fand, seine Phantasien wieder aktiver ausagieren konnte. Zur inneren Ruhe konnte er auch damit nicht wirklich kommen, denn ein einstmals verwöhntes Kind ist auch als Erwachsener immer nur sehr vorübergehend zufrieden. Zum Glücklichsein fehlt ihm die Selbstsicherheit, das Vertrauen in das stimmige Zusammenpassen von eigenen Kräften und einem sicher erwartbaren Entgegenkommen der Umwelt. So sicher war Hitler nicht, und er wollte immer noch mehr, als er gerade bekommen hatte und überhaupt bekommen konnte.