2.4.10.2.3. Grußformen 

Vom „Heiligen Krieg“ nun wieder zurück zum Heil, wie es in der Umgangssprache verstanden wird. Schon früh ist das Wort „Heil“ (bzw. „heil“) in Grußformen eingegangen, so schon in der germanischen Zeit mit „Sei heil!“, im Mittelalter gefolgt vom Gruß „Gott gebe Dir Heil“. Dem entspricht, in anderer Wortwahl, die Grußformel „Sei gegrüßt im Namen Gottes!“ oder abgekürzt und bis in unsere Zeit üblich als „Grüß Gott!“. Ein frühchristlicher Vorläufer für diesen Gruß ist das lateinische „Ave!“ (von lat. aveō „sich wohl befinden“), entsprechend dem „Leb wohl!“ zum Abschied und „Sei gegrüßt!“ bei der Begegnung, was aber beides meint, dass es dem so Begrüßten gut gehen soll, ähnlich wie bei dem nordhessischen Abschiedsgruß „Machs gut!“. In der vom Gebetsanfang „Ave Maria ...“ („Gegrüßet seist Du, Maria ...“) abgeleiteten Bezeichnung für das gesamte Gebet ist das Wort „Avemaria“ in die Umgangssprache eingegangen.

Solche Grußworte waren schon in alten Zeiten mit Grußgesten der Hand verbunden, die auch ohne begleitende Worte als Segenswunsch verstanden werden konnten. Die segnende Geste, etwas von oben herab, sollte alle unter dem geistlichen oder weltlichen Würdenträger dienernden oder knieenden Menschen erreichen, und noch heute segnet der Priester auf diese Weise die Gläubigen, und besonders gütig und für die Glaubenden eindrucksvoll tut dies der Papst in seinem Segen „urbi et orbi“. Wir kennen diese Grußform, etwas lässiger und beiläufiger ausgeführt, auch im Alltag im freundlichen Winken mit der ausgestreckten Hand, beispielsweise wenn der Grüßende gerade noch am Kauen ist und deshalb nicht mit Worten grüßen kann, oder wenn er gerade mit einer anderen Person spricht, aber dennoch den Gruß des Vorbeigehenden erwidern möchte, oder wenn der zu Grüßende zwar in Sichtweite ist, aber mit normaler Lautstärke nicht mehr zu erreichen ist. Nach der Nazizeit war das Grüßen mit ausgestrecktem Arm etwas aus der Mode gekommen, aber weil unsere ausländischen Nachbarn diese Grußgeste ganz unbefangen und selbstverständlich verwenden, ist sie auch bei uns wieder gebräuchlicher geworden. Kleine Kinder, schon ältere Säuglinge, erwidern solchen Gruß, vielleicht weil ihre Ärmchen zu kurz sind, gern mit dem abwechselnden Strecken und Beugen der Finger ihrer Hand. Aber die gerade aufgezählten gestischen Grußformen meinen alle etwa dasselbe: dass man dem Begrüßten wohlgesonnen ist und ihm vielleicht sogar alles Gute, Glück, Heil und Segen wünscht.

Diese einander ähnlichen, aber vor allem in der sprachlichen Formulierung unterschiedlichen Grußformen wurden nun mit dem Auftreten von Adolf Hitler mit seinen „Alten Kämpfern“ und Parteigenossen in neuer Weise ideologisch eingeengt und zum obligatorischen „Heil Hitler“ des nationalsozialistischen Deutschland ritualisiert, und dies in scharfer Konkurrenz vor allem zur kommunistischen Grußgeste der geballten Faust und zum im Süden Deutschlands allgemein üblichen „Grüß Gott!“. Michael Rißmann (Hitlers Gott. Pendo, Zürich, 2001) berichtet darüber: „ ... in katholischen Gebieten (glaubte man) während des regenarmen Sommers 1934, dass die bedrohliche Trockenheit auf den neuen Gruß ‚Heil Hitler’ zurückzuführen sei, der das althergebrachte ‚Grüß Gott’ abzulösen begann“ (S. 184). Auch das „Heil Hitler!“ war mit einer Grußgeste verbunden, mit der zum Gruß erhobenen flachen Hand und dem dazu steif ausgestreckten Arm. Hitler selbst soll in der Lage gewesen sein, bei Großveranstaltungen, wenn viele Marschkolonnen über lange Zeit an ihm vorbei paradierten, seinen Arm ganz ohne mechanische Versteifungshilfe (etwa durch einen einrastenden Armhalter) über Stunden ausgestreckt zu halten, ohne zu ermüden. Im Volk war dieser Gruß nicht beliebt, nur die 180%igen Nazis verwendeten ihn freiwillig aus Überzeugung. Andere vermieden ihn oder machten sich im kleinen Kreis unter verlässlichen Freunden sogar darüber lustig, z. B. wenn einer mit steif ausgestrecktem rechten Arm sagte: „So hoch springt mein Hund!“ oder wenn ein anderer auf den Gruß „Heil Hitler!“ antwortete: „Heil Du ihn doch!“. Diese Erwiderung umgreift die ganze Spanne von einem Segensgruß bis zur Bekundung der Dringlichkeit einer Heilbehandlung für einen irgendwie durchgeknallten Mann, dem aber offensichtlich nicht zu helfen war.

Neben den Heil- und Segenswünschen gab es aber immer schon den Fluch, die Vermaledeiung (malum dicere) und das vor dem Bösen schützende Stoßgebet, z. B. „Gott sei bei uns!“, das als Kurzformel „Gottseibeiuns“ sogar als verhüllende Bezeichnung für den Teufel diente. Neben den als heilig Auserwählten gab es die als Sünder Verworfenen, die wegen ihres Unglaubens schon vor dem Tode harte Strafen verdienten, aber außerdem am Ende der Tage zum ewigen Höllenfeuer verurteilt wurden. Dieser Unterscheidung zwischen den zum Heil auserwählten und den zur ewigen Verdammnis bestimmten Menschen werde ich im Folgenden nachgehen, und zwar zunächst mit der Frage, wie nicht nur seit altersher die Christen, sondern später auch die Nazis es mit den Juden hielten.