2.4.10.3. Vorläufer, Konkurrenten und Sympathisanten der Nazi-Ideologie 

Inhaltsverzeichnis

2.4.10.3.1. Wie neu war Hitlers eigene Heilslehre?
2.4.10.3.2. Die antisemitische Komplizenschaft von Nazis und Christen und ihre Leugnung

2.4.10.3.1. Wie neu war Hitlers eigene Heilslehre?

Bei der Frage nach den Vorläufern von Hitlers eigenem Glauben ist als erstes zu bedenken, dass er selbst und seine engsten Anhänger fast durchgehend in christlicher Familientradition aufgewachsen waren. Die meisten waren katholische Christen wie er selber und auch Joseph Goebbels, sie waren besonders stark vertreten unter Nazis aus Bayern und Österreich. Von diesem unbezweifelbaren Sachverhalt kann man auch nicht dadurch ablenken, dass man Hitlers Glaube als „darwinistisch“ zu schmähen versucht. Das wäre eine grobe Fehleinschätzung und vor allem Beleidigung Darwins, denn dieser überragende Wissenschaftler hätte allen Anlass, sich im Grabe rumzudrehen und in höchsten Touren zu rotieren, wenn er erfahren könnte, dass man ihn als Ideengeber für Hitlers Rassenideologie diffamiert hat. Auf diesen Aspekt werde ich noch zurückkommen.

Schon eher kann der Kommunismus als einer der Vorläufer von Hitlers Glaube gelten. Er eignet sich dazu, weil auch Marx ein Nachfolger jüdisch-christlicher Heils-Propheten war. Seine Ideologie baute im wesentlichen auf Hegels Philosophie auf, deren „Dialektik“ nur von der christlichen Trinität und der joachimitischen Lehre von den drei Zeiten oder Reichen her richtig verstanden werden kann. Marx hatte zwar versucht, die Philosophie Hegels vom Kopf auf die Füße zu stellen, aber diese Umkehr oder besser Drehung änderte kaum etwas an den Proportionen dessen, das dann auf den Füßen (oder vielleicht doch auf dem Kopf?) stand. Man muss nur selber einen Kopfstand machen, dann erkennt man das Umgekehrte in seiner alten Form und Lage, und mit seinen schon vorher feststellbaren Mängeln! Dazu gehört, den Verelendeten das Paradies, nur diesmal nicht im Himmel, sondern allen Ernstes auf Erden zu versprechen. Hitler hatte übrigens großen Respekt vor der Fähigkeit der Kommunisten, die Massen mit solchen Versprechungen zu mobilisieren. Was die Endverheißung betraf, war es für Hitler demnach kein so großer Schritt, statt der kommunistischen Parole „Sieg des Proletariats“, also der Arbeiterklasse, nunmehr den Sieg der arischen Rasse zu proklamieren und vorerst als National-Sozialismus anzubieten. Man hatte ja an Benito Mussolini sehen können, wie kurz der Schritt vom führenden Linkssozialisten zum Faschisten für einen Duce (= Führer) war.

Ich möchte aber die Problematik ganz vom Anfang angehen und ganz allgemein fragen: Wie verhält sich Hitlers „neue Heilslehre“ zu ihren Ursprüngen, zu ihren Vorgängern und ihren Konkurrenten? Jede neue Religion konkurriert ja nicht nur mit eher gleichrangigen und z. T. noch gleichaltrigen Bruderreligionen, sondern auch mit ihrer jeweils eigenen vorherigen Vaterreligion, so etwa der Buddhismus mit dem Hinduismus. Diese Konkurrenz kann die Vereinnahmung der vorherigen oder der anderen Religionen zum Ziel haben, sie kann aber auch bis zur Verleugnung der eigenen Herkunft gehen, so als wäre der Gründer der neuen Religion der erste und einzige, der die wahre göttliche Offenbarung erhalten hatte. Sein etwaiger Vorgänger wird zumindest auf die Rolle eines bloßen Ankünders reduziert, wie beispielsweise Johannes der Täufer den Christen als Ankünder des Jesus Christus, des Gottessohnes galt. Dabei liegt es doch nahe anzunehmen, dass schon Johannes der Täufer selber ein Sektengründer war, und Jesus zunächst nur einer seiner vielen Anhänger. Ursprünglich nahm Johannes der Täufer also einen höheren Rang ein als der noch unbekannte Jesus, der sich von ihm taufen ließ und sich später an diesem Modell orientierte.

Eine solche Leugnung der nachträglichen Abkunft und der eigenen Zweitrangigkeit wurde von den jesuanischen Christen (= Messiasgläubigen!) noch weitergeführt, wenn sie insgesamt den durchgehend jüdischen Charakter ihrer neuen Sekte leugneten, und dies trotz der für die Zeitgenossen des Jesus offenkundigen Tatsache, dass er selbst, wie schon seine Eltern Joseph und Maria (Mirjam) und wie seine Brüder, ein aramäisch sprechender Jude war und bis zu seinem Foltertode blieb. Auch die weitaus meisten seiner Jünger, Apostel, Evangelisten und seine ersten Anhänger aus dem Volk waren Juden, nur eben jesuanische Juden, so wie es katholische und auch protestantische Christen gibt. Aber die anderen Juden, die sich der jesuanischen Sekte oder Volksbewegung nicht angeschlossen hatten, galten den jesuanischen Juden dann als Nicht- oder sogar Anti-Christen(= Anti-Messiasgläubigen!), jedenfalls als „verstockt“. Dass sie aber Jesus nicht als Messias und schließlich Gottes Sohn anerkennen wollten, war ihnen als frommen Juden nicht zu verdenken, weil ihnen gar nicht zugemutet werden konnte, sich auf etwas in ihrem Glauben so Gotteslästerliches einzulassen. Jahrhunderte später, nach der „Reformation“ des Katholizismus durch den noch sehr katholischen Mönch Martin Luther, distanzierten sich die Lutheraner so weit vom Katholizismus (mit dem ihr eigener Glaube, von außen betrachtet, weitgehend identisch war und blieb), dass sie den Papst sogar als „Antichrist“ beschimpfen konnten. Die Gegnerschaft zwischen Marxismus und Nationalsozialismus spricht demnach keineswegs gegen ihre enge Verwandtschaft: auch Brüder können einander hassen!