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Ethnozentrismus kann verschärft sein bis zum Glauben an die eigene Auserwähltheit, und zwar nicht nur henotheistisch durch den eigenen Stammesgott, sondern universalistisch durch den all-einzigen Gott aller Menschen, der die Welt erschaffen hat. Da „das Heil“ ein alter religionsgeschichtlicher Begriff ist, will ich nun der Frage nachgehen, wem im Einzelfall das Heil vollmundig versprochen, gnädig gewährt oder sogar tatsächlich verschafft wird, und wem nicht, oder mit anderen Worten, wer für das Heil auserwählt ist. Schon im ersten Buch des Alten Testaments, im Buch Genesis (dem ersten Buch Mose), begann mit den Brüdern Kain und Abel der erbitterte Streit und Kampf von zwei Konkurrenten um das Auserwähltsein für das väterliche Erbe bzw. um das nachträgliche Behaupten der eigenen Auserwähltheit. Kain, nach 1 Mose 4 der erstgeborene Sohn von Adam und Eva, war Bauer, sein jüngerer Bruder Abel war Hirte. Beide brachten Gott ihr Opfer dar, Kain von den Früchten des Feldes, Abel von den Erstlingen seiner Herde. Da blickte Gott wohlgefällig auf Abels Opfer (wahrscheinlich war Gott der Duft einer leckeren Lammkeule in die Nase gestiegen), aber nicht auf das vegetarisch-ärmliche Opfer Kains. Aus eifersüchtigem Zorn über dieses herabsetzende Nichtbeachtetwerden durch Gott erschlug Kain seinen Bruder Abel. Zur Strafe wurde Kain von Gott zum rastlosen Umherirren verdammt, vielleicht als Schmied, denn sein Name könnte „Schmied“ bedeuten. Von den Israeliten, die vom dritten Bruder Seth abstammten, wurde die halbsesshafte Lebensweise der von Kain abstammenden Keniter als Strafe für das Verbrechen ihres Stammvaters angesehen. Das war wohl eine böse Unterstellung, und zwar zu dem allzu durchsichtigen Zweck, zur Legitimierung des eigenen Anspruchs auf Auserwähltheit das Vorrecht des wirklich Erstgeborenen in Frage zu stellen.
Oder hat etwa Gott selber mit seiner Missachtung von Kains Opfergaben den
Bruderzwist angezettelt? Denn es gibt im Alten Testament auch den Fall,
dass zwei Brüder gegeneinander aufgestachelt wurden: Die Ägypter hatten
mit Mose die bei ihnen als Hirten umherziehenden und in ihrem Dienst stehenden
Israeliten auserwählt und dazu angestiftet, gegen die Kanaanäer, also gegen
ihr eigenes Brudervolk, zu kämpfen und das von diesem bewohnte „Gelobte
Land“ zu erobern, wohl in der Erwartung, dass dann die beiden Brudervölker
in erbitterten Auseinandersetzungen einander schwächen und schließlich aufreiben.
Damit wäre, ohne dass die Ägypter eigene Verluste hätten befürchten müssen,
die ägyptische Vorherrschaft in Palästina gesichert gewesen. Die andere
Option: die Kanaanäer siegen und die Israeliten, vernichtend geschlagen,
wären für die Ägypter weg vom Fenster.
Die dritte, dann auch realisierte und in den Büchern Mose berichtete Option:
die schon zum Monotheismus bekehrten Israeliten siegen und dienen den Ägyptern
als Vorposten und Prellbock unter den weiterhin polytheistisch gebliebenen
Westsemiten. In jedem der drei Fälle, also im erwartbaren Endeffekt, wäre
dieser Bruderkrieg zwischen Israeliten und Kanaanäern ein Gewinn für Ägypten!
Ich habe diese Sicht des „Exodus“ an anderer Stelle (2.2.6.) ausführlicher
begründet und näher ausgeführt.