2.4.10.9. Hitlers persönliche Katastrophen und Erweckungserlebnisse

Inhaltsverzeichnis

2.4.10.9.1. Von mir genutzte Quellen
2.4.10.9.2. Vom christlichen Judenhass zum fanatischen Antisemitismus
2.4.10.9.3. Von der „Erblindung“ zur Vision: Hitler als Erretter Deutschlands
2.4.10.9.4. War Hitler schizophren?

2.4.10.9.1. Von mir genutzte Quellen

In meiner Kindheit begrenzten sich meine Direkterfahrungen mit Hitler auf das, was ich gelegentlich aus Radiosendungen mitkriegen konnte. Einzelne seiner Reden aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs habe ich noch irgendwie „im Ohr“, zumindest was seine Stimme und Diktion betrifft, und am Ende des Krieges oder kurz danach habe ich, noch als Jugendlicher, erstmals sein Buch „Mein Kampf“ gelesen, viel später noch einmal sehr gründlich als Erwachsener.

Erst die endgültige Niederlage Nazi-Deutschlands und die Aufdeckung des Massenmords an den europäischen Juden brachte einzelne (viel zu wenige!) Deutsche und die internationale Forschung dazu, die in Hitlers „Mein Kampf“ und in seinen Reden und „Tischgesprächen“ etc. vorliegenden Quellen genauer zu untersuchen. Selbst dann gab es noch viele, vor allem marxistisch orientierte Interpreten, die Hitler summarisch und vorweg zum „Lakaien des internationalen Großkapitals“ verharmlosten, und Christen beider Konfessionen, die ihn als „Sozialdarwinisten“ missverstanden, wohl auch um sich eher nachträglich von ihm zu distanzieren.

Wenn jemand sich aber die Mühe macht, Hitlers „Mein Kampf“ von Anfang bis Ende zu lesen und durchzuarbeiten, und es auf sich nimmt, sich auch das Lesen seiner oft überlangen und ausufernden Reden zuzumuten, der kann auf diese Weise Hitler unvoreingenommener und im Effekt recht gut kennen lernen, wie dieser sich selbst sah, nach außen hin darstellte und faktisch verhielt. Wem das zuviel wird, was nur zu verständlich ist, der kann sich aus einer umfangreichen Sekundärliteratur informieren, in der meist auch wieder ausführlich aus „Mein Kampf“ und aus den Reden zitiert wird, wenn auch jeweils mit einer gewissen Selektion und unter Betonung von je verschiedenen Aspekten. Ich kenne die Hitler-Biographien von J. C. Fest (Hitler. Eine Biographie. Ullstein, Frankfurt/M. 1973) und Ian Kershaw (Hitler. 1889 – 1936. DVA, Stuttgart, 1998), dazu auch die spezielleren Analysen von Michael Ley (Genozid und Heilserwartung. Zum nationalsozialistischen Mord am europäischen Judentum. Picus, Wien, 1993), Michael Rißmann (Hitlers Gott. Vorsehungsglaube und Sendungsbewusstsein des deutschen Diktators. Pendo, Zürich, 2001), um nur die für mich wichtigsten zu nennen.

Soweit es bei meinen Analysen um Hitlers Psychopathologie geht, werde ich mich vor allem auf das Buch von Wolfgang Treher beziehen: „Hitler – Steiner – Schreber... Die seelischen Strukturen des schizophrenen Prophetenwahns“ (Oknos, Emmendingen, 1990). Ich räume vorweg ein, dass einzelne Aspekte von Trehers Schizophrenie-Theorie, u. a. von der „Teilbarkeit“ der Seele, zumindest in ihrer Formulierung fragwürdig sind, wenngleich Phänomene der Fragmentierung des Denkens Schizophrener auch von anderen Psychiatern und Psychoanalytikern diskutiert werden. Treher zitiert allerdings selber die Meinungen „lieber Kollegen“, die ihn als psychotisch, insbesondere schizophren diagnostiziert hatten. Aber es ist mit ihm wohl ähnlich wie mit dem Psychoanalytiker Wilhelm Reich; denn dessen verrückte Orgon-Theorie und sein verqueres Spätwerk ändern wenig an der hohen Qualität seiner in jüngeren Jahren verfassten „Charakteranalyse“.

So ändern einige Seltsamkeiten in Trehers Ausdrucksweise auch nichts daran, dass Treher im übrigen sorgsam recherchiert und die von ihm herangezogenen Originaltexte korrekt wiedergegeben und in erhellender Weise interpretiert hat. Er hat die ihm zugänglichen Materialien mit einer ähnlichen Fragestellung wie meiner eigenen ausgewertet und auf diese Weise viele Zitate zusammengetragen, die ich für meine eigenen Analysen nutzen konnte. Treher demonstriert Hitlers Psychopathologie (er diagnostiziert ihn psychiatrisch als schizophren) auch mit vielen Zeugnissen seiner Zeitgenossen, quasi fremdanamnestisch. Dabei fällt auf, dass Hitlers Ideologie, auch in ihrer Verrücktheit, dennoch ganz eindeutig aus Inhalten jüdisch-christlichen Glaubens, etwas indirekter formuliert, aus dem Alten und dem Neuen Testament ableitbar ist, was aber von Treher in seiner Gesamtbewertung, entgegen dem Untertitel seines Buches, etwas vernachlässigt wurde.