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Hitler setzte die Sukzession der Auserwählten (vgl. 2.4.10.5.3.) auf seine Weise fort. Wegen ihres besonderen Gewichts für meine Fragestellung möchte ich Michael Rissmanns Interpretation des Hitlerschen Geburts-Mythos in aller Ausführlichkeit wiedergeben (Hitlers Gott, S. 43): „Die Geburt einer Erlösergestalt unter ungewöhnlichen, zeichenhaften Umständen gehört zum heilsgeschichtlichen Erzählmuster, im Christentum realisiert durch die Geburt Jesu im ärmlichen Stall. Die einfache Herkunft erscheint hier ... geradezu als Vorbedingung für die nachfolgende Errettung der leidenden Menschheit. Hitler interpretierte (H. Sch.: nachträglich, vor allem in einigen Passagen von „Mein Kampf“) seine Biographie in dieser Tradition. Denn auch (!) im christlichen Erlösungswerk, so führte er aus, ‚kam die Überwindung ... durch eine Heilslehre, deren Verkünder geboren wurde unter den erbärmlichsten Verhältnissen ...’ Dass er gerade in Braunau (H. Sch.: in Österreich) auf die Welt kam, konnte, in heilsgeschichtlicher Perspektive betrachtet, kein Zufall sein: ‚Als glückliche Bestimmung gilt es mir heute, dass das Schicksal mir zum Geburtsort gerade Braunau am Inn zuwies. Liegt doch dieses Städtchen an der Grenze jener zwei deutschen Staaten, deren Wiedervereinigung mindestens uns Jüngeren als eine mit allen Mitteln durchzuführende Lebensaufgabe erscheint!’“.
Auch spätere Stationen seines Lebensweges wurden von Hitler in diese Legende einbezogen: „Von Linz aus (H. Sch.: immer noch in Österreich!), so berichtete Hitler, bin ich einst(!) als Knabe ausgezogen ... ich musste hinaus in das große Reich, das Land meiner Träume und meiner Sehnsucht“ (Rißmann S. 56). Nach dem „Anschluss“ Österreichs (1938) verkündete Hitler in Wien: „Ich glaube, dass es auch Gottes Wille war, von hier einen Knaben in das Reich zu schicken, ihn groß werden zu lassen, ihn zum Führer der Nation zu erheben“. Einen großen Knaben? Welch pubertäre Phantasie eines Erwachsenen! Aber in Wirklichkeit ging es nun doch nicht so schnell. Im Gegenteil: „In Wien erduldete der kommende Heiland – so wollte es das Schicksal, so will es auch das Erzählmuster jeglicher Heilsgeschichte – zunächst tiefe Not. Diese Jahre aber, so weiß er später, ‚die mich das Elend in der härtesten Form am eigenen Leibe haben erfahren lassen, sind für die deutsche Nation zum größten Segen geworden. Wir hätten sonst heute den Bolschewismus!’“ ( Rissmann, a.a.O.).
Selbst in der Zeit seines sozialen Abstiegs zur Arbeitslosigkeit und Misere im Wiener Obdachlosenasyl suchte er, wie schon in Kindheit und Jugend, nach einem Publikum, dem er seine Ansichten und Pläne vortragen konnte. Er konnte sich selbst in Rage reden und dabei versuchen, andere von seinen Ansichten zu überzeugen. In dem Milieu, in dem er damals lebte, wird er kaum kompetente Gesprächspartner gefunden haben, so dass er von fundiert kritischen Bemerkungen „verschont“ blieb und seine Gedanken monologisch weiterentwickeln und bekräftigen konnte. Er lernte dabei, recht behalten zu wollen, und dies bis zu dem Grade, dass er keine Kritik mehr akzeptieren und verwerten konnte.
Obwohl (oder weil?) Hitler als freischaffender Kunstmaler noch darauf
angewiesen war, die von ihm selbst angefertigten Kunstpostkarten von
einem jüdischen Mitbewohner verkaufen zu lassen, entwickelte er zunächst
noch theoretisch seine mitgebrachten antisemitischen Vorurteile weiter
zu einer generellen Abwertung alles Jüdischen, schließlich ausufernd
in einem blanken Hass gegen die Juden, zusätzlich legitimiert durch
eine abstruse Theorie von der Vorherrschaft der „arischen Rasse“, die
er von volkstümelnden Sektierern in Wien übernommen hatte. Dass Hitler
mit einzelnen Juden geschäftliche und vielleicht sogar freundschaftliche
Beziehungen unterhalten hatte, ist kein Einwand gegen die Feststellung,
dass er die Juden und das Judentum hasste. Wohl jeder Antisemit dieser
Zeit kannte auch einzelne „anständige“ Juden, z. B. den Hausarzt der
Familie, irgendwelche vaterländisch gesinnten Offiziere oder tapferen
Frontsoldaten des 1. Weltkrieges, natürlich auch den einen oder anderen
hervorragenden Wissenschaftler oder Künstler, vor allem wenn dieser
ein „getaufter“ Jude war. Was den von Hitler so sehr verehrten Komponisten
Richard Wagner betraf, der wohl im Sinne der Nazi-Ideologie ein „Halbjude“
war, hatte Hitler von dessen „jüdischem Blut“ noch keine Ahnung, so
dass man noch postum den oft zitierten Spruch wiederholen könnte: „Wenn
das der Führer wüsste!“ Wenn also jemand einräumte, dass er „auch anständige
Juden“ kenne, dann änderte das nichts an seinem dennoch weiter bestehenden
Antisemitismus, denn besonders in diesem Kontext berief man sich gern
auf das Sprichwort: „Die Ausnahmen bestätigen die Regel!“ Einer solchen
Sprachregelung mag auch Hitler gefolgt sein, wenn er im Wiener Männerheim
mit Juden diskutiert hatte und mit einem von ihnen, der für Hitler im
Vertrieb von „künstlerischen“ Postkarten aus Hitlers eigener Produktion
tätig wurde, sogar eng geschäftlich zusammengearbeitet hatte. Antisemit
war Hitler dennoch schon von seinen religiösen Ursprüngen her, vermittelt
durch seine gut katholische Mutter, und er blieb es auch in der von
seinem Vater vorgelebten freigeistigen Distanzierung vom alten Glauben,
und wie wir noch referieren werden, wurde er es wieder, in aller Schärfe,
in seiner rassistischen Interpretation der Auserwähltheit der arischen
(und insofern nicht-jüdischen!) Rasse. Das waren einige Schritte, die
zwar für sich genommen noch harmlos waren, in ihrer Zielbestimmtheit
und Unbeirrbarkeit aber dennoch zum weiteren Aufbau seines Sendungsbewusstseins
beitrugen, jeweils verstärkt durch auslösende Situationen, auf die er
mit einer Verschärfung seiner Fehlorientierung reagierte.