Zum deutschen Nationalfeiertag am 3. Oktober eine antisemitische Hetzrede? Das kann doch nicht wahr sein! Aber befassen wir uns erst einmal gründlicher mit dem Text der Rede, bevor wir uns ein Urteil bilden. Der offenbar vollständige und autorisierte Text war bis zum frühen Abend des 30. Oktober 2003 auf der Internetseite der CDU-Neuhof abrufbar und wurde dann ersatzlos gelöscht. Wir verdanken der Oberhessischen Presse Marburg, dass von ihr der Text der Rede, von deren Inhalt sie sich distanziert, dennoch zum Zweck der Dokumentation zur Verfügung gestellt wurde. Ich dokumentiere und kommentiere:
Nach einer nicht weiter ausgeführten "Anrede" beginnt die Rede von M. Hohmann zum deutschen Nationalfeiertag mit dem Einstieg in drei Stammtisch-Themen: erstens mit dem Hinweis auf den "Kalif von Köln", nämlich dass dieser als verurteilter türkischer Mordanstifter nicht in die Türkei ausgewiesen wurde, sondern nach der Auslegung deutscher Gesetze durch ein deutsches Gericht sich "zum weiteren Bezug deutscher Sozialhilfe gezwungen sieht". Der zweite Fall ist der "Miami-Rolf", der seine Sozialhilfe "ins warme Florida überwiesen" bekommt, und der dritte ist der Mann, dem die Sozialhilfe das Potenzmittel "Viagra" finanziert. Nach diesem stammtischgeeigneten und furiosen Start der Feiertagsrede kommt Hohmann auf "Schmarotzer" zu sprechen, die den Rechtsstaat gnadenlos ausnutzen, die sich also eigennützig statt gemeinnützig verhalten. Das erinnerte mich denn doch an die Nazi-Parole "Gemeinnutz geht vor Eigennutz!".
Der Redner beklagt dann die "Gerechtigkeitslücken", die in manchen Deutschen das Gefühl wecken, "als normaler Deutscher schlechter behandelt zu werden als andere", und äußert selber den Verdacht, "dass man als Deutscher in Deutschland keine Vorzugsbehandlung genießt". Deshalb legte er der Bundesregierung nahe,
ihre Zahlungen an die Europäische Union zu verringern,
sich gegenüber Russland, Polen und Tschechien für deren damalige deutsche Zwangsarbeiter einzusetzen und offenbar Entschädigungszahlungen zu verlangen und
die Entschädigungszahlungen an - vor allem jüdische - Opfer des Nationalsozialismus an die gesunkene Leistungsfähigkeit des deutschen Staates anzupassen.
Die abschlägigen Antworten, die Hohmann daraufhin erhalten hatte, bestätigten nach seiner Ansicht die Anschauung "Erst kommen die anderen, dann wir. Überspitzt gesagt: Hauptsache, die deutschen Zahlungen gehen auf die Auslandskonten pünktlich und ungeschmälert ein. Dafür müssen die Deutschen den Gürtel halt noch ein wenig enger schnallen". Mein vorläufiger Kurzkommentar: Populismus auf unterstem Stammtisch-Niveau!
Hohmann hat aber offenbar doch schon gehört, dass die von ihm beklagte "Schieflage" in der jüngeren deutschen Geschichte begründet ist, und das heißt für ihn, dass sie ausschließlich auf Hitler, auf den Hitlerschen Ungeist zurückzuführen ist, und er äußert sich auch abfällig über die "Häufchen seiner Adepten am rechtsextremen Rand der politischen Szene", über die "abstoßende Aggressivität" dieser "Dumpfbacken" aus dem "braunen Abhub", von Hohmann schnell erweitert zum "Narrensaum am rechten und linken Rand der politischen Spektrums" unter Betonung des "blutigen RAF-Terrorismus der 70er Jahre". Interessant ist die Konsequenz, die er aus diesen Einschätzungen zieht: "Nicht die braunen Horden, die sich unter den Symbolen des Guten versammeln (???), machen tiefe Sorgen. Schwere Sorgen macht eine allgemeine Mutzerstörung im nationalen Selbstbewusstsein, die durch Hitlers Nachwirkungen ausgelöst wurde", nämlich bedingt durch den "Vorwurf: die Deutschen sind das Tätervolk". Da ist er bei seinem Thema angelangt. Und wie wehrt er diesen Vorwurf ab? Unter anderem mit dem folgenden Argument: "Es verwundert, dass noch keiner den Verzicht auf Messer und Gabel vorgeschlagen hat, wo doch bekanntermaßen diese Instrumente der leiblichen Kräftigung der damaligen Täter dienten". Sollte das etwa ein Witz sein? Es ist eine verharmlosende Ablenkung von den schlimmen Tatsachen, die zu diesem Vorwurf geführt haben. Und Hohmann ist auch schnell dabei, zu fragen, ob "das Übermaß der Wahrheiten über die verbrecherischen und verhängnisvollen 12 Jahre der Nazi-Diktatur nicht ... instrumentalisiert wird..." Übrigens werden hier wie schon im ersten Teil der Rede der "Diktator" Hitler und seine engsten Komplizen zu Alleintätern stilisiert, während "die Deutschen" damit anscheinend gar nichts zu tun hatten. Das deutsche Volk hat sogar "milliardenschwere Wiedergutmachung geleistet, vor allem gegenüber den Juden".
Und dann kommt der Hammer: "Auf diesem Hintergrund stelle ich die provozierende Frage: Gibt es auch beim jüdischen Volk, das wir ausschließlich in der Opferrolle sehen, eine dunkle Seite in der neueren Geschichte oder waren die Juden ausschließlich die Opfer, die Leidtragenden?" Und mit "Meine Damen und Herren" setzt er neu an mit dem Hinweis auf ein 1920 in den USA herausgegebenes Buch von Henry Ford über "The International Jew", in dem Ford die Juden generalisierend als "Weltbolschewisten" anprangert. Hohmann merkt tatsächlich, dass dessen Thesen "für unsere Ohren der NS-Propaganda vom jüdischen Bolschewismus ähneln", um dann ungerührt fortzufahren mit vielen Belegen für eben diese Auffassung! Er breitet dazu auf einer ganzen Seite seines Redetexts eine Fülle von Namen und Zahlen aus, nach denen "die Juden" in vielen Fällen die Mehrheit der führenden bolschewistischen Funktionäre ausmachten. Ich kenne solche Aufzählungen der "Verjudung" des Bolschewismus und der "Untaten" dieser Juden noch aus den Schaukästen des "Stürmer", aus dem Hetzblatt des Nazi-Gauleiters Julius Streicher. Ich verwundere mich daher sehr, sie in einer Rede zum deutschen Nationalfeiertag im Jahre 2003 wiederzufinden. Hohmann betont besonders "die ausgesprochen antikirchliche und antichristliche Ausrichtung der bolschewistischen Revolution", insbesondere von der bolschewistischen Gottlosen-Bewegung ausgehend, an deren Spitze "ausgerechnet Trotzki" stand, dieser Jude, der damals sein Judentum leugnete, aber "von den Russen und weltweit als Jude wahrgenommen" wurde. Bei diesem Hinweis fragt man sich: Hat für Hohmann das Jüdischsein überhaupt etwas mit dem erklärten jüdischen Glauben zu tun oder doch nur mit der unaustilgbaren "jüdischen Rasse"? Was folgt für Hohmann aus all dem? Ich gebe es am besten wörtlich wieder: "Meine Damen und Herren, wir haben nun gesehen, wie stark und nachhaltig die Juden die revolutionäre Bewegung in Russland und mitteleuropäischen Staaten geprägt haben ... Mit einer gewissen Berechtigung könnte man im Hinblick auf die Millionen Toten dieser ersten Revolutionsphase nach der 'Täterschaft' der Juden fragen... Juden waren in großer Anzahl sowohl in der Führungsebene als auch bei den Tscheka-Erschießungskommandos tätig. Daher könnte man die Juden mit einiger Berechtigung als 'Tätervolk' bezeichnen. Das mag erschreckend klingen. Es würde aber der gleichen Logik folgen, mit der man Deutsche als Tätervolk bezeichnet". Darauf soll es also hinauslaufen: Die Juden sind selber genau das, was sie den Deutschen immer wieder vorhalten! Auch sie sind ein Tätervolk, also beide, die Deutschen und (zeitlich sogar schon vor ihnen) die Juden sind Tätervölker, beide tragen Schuld!
Damit kann sich Hohmann aber nicht zufrieden geben, denn er will ja "die Deutschen" von diesem Vorwurf freisprechen, und er findet tatsächlich einen Ausweg aus dieser für ihn peinlichen Täter-Ähnlichkeit zwischen Deutschen und Juden, und zwar so: Es waren gar nicht alle Juden bolschewistische Täter, sondern nur die gottlosen Juden! Er begründet das ausführlich: "Die Juden, die sich dem Bolschewismus und der Revolution verschrieben hatten, hatten zuvor ihre religiösen Bindungen gekappt. Sie waren nach Herkunft (!) und Erziehung Juden, von ihrer Weltanschauung her aber meist glühende Hasser jeglicher Religion. Ähnliches galt für die Nationalsozialisten.... Sie ... waren zu Feinden der ... Religion geworden". (Dass die Nazis die Juden nicht wegen ihrer Religion, sondern wegen ihrer "Rasse" bekämpft, verfolgt und Millionen von ihnen ermordet hatten, läßt Hohmann bei dieser Argumentation aus.) "Verbindendes Element des Bolschewismus und des Nationalsozialismus war also die religionsfeindliche Ausrichtung und die Gottlosigkeit. Daher sind weder 'die Deutschen' noch 'die Juden' ein Tätervolk. Mit vollem Recht aber kann man sagen: Die Gottlosen mit ihren gottlosen Ideologien, sie waren das Tätervolk des letzten, blutigen Jahrhunderts". Auf diese Weise hat Hohmann es doch tatsächlich geschafft, erstens 'die Deutschen' von aller Schuld freizusprechen, zweitens seinen Antisemitismus nachträglich verbal zu entschärfen, und drittens ein neues (altes!) Feindbild aufzubauen: "die Gottlosen". Abschließend sagte der Redner Hohmann noch: "Mit Gott in eine gute Zukunft besonders für unser deutsches Vaterland!" An dieser Stelle muss ich bekennen: Ich selber, Hans Schauer, glaube nicht an den Monotheos der jüdisch-christlich-islamischen Religion, auch nicht an die "Dialektik" der Kommunisten und nicht an die "Vorsehung" des Adolf Hitler. Ich wäre demnach (nach M. Hohmann) als Angehöriger des "gottlosen Tätervolks" einzuordnen. Müssen nun alle "Gottlosen" befürchten, als Tätervolk selber verfolgt zu werden? Um etwa am Ende der Zeiten zum Höllenfeuer, einem generalisierten Holocaust, verurteilt und in ihm auf ewig weiter verbrannt zu werden?
Ein derart krasser öffentlicher Aufruf zur gegenaufklärerischen Gottlosen-Ächtung, wie Hohmann ihn in seiner Rede vorgebracht hat, ist schon wirklich ein Skandal. Es empört mich aber auch, dass ich noch kaum Christen oder gar christliche Geistliche vernommen habe, die sich kritisch zu Hohmanns Rede geäußert hätten, wenn auch nur mit dem Stoßseufzer: "Gott behüte uns vor solchen Gottgläubigen wie dem immer noch antisemitischen und inzwischen auch gegen 'Gottlose' hetzenden Martin Hohmann und seinen Gesinnungsgenossen!"
Zum Schluss biete ich noch einige Klärungen an:
Schon von den frühen Christen wurden die Juden der Gottlosigkeit beschuldigt, weil sie wegen ihrer "Verstocktheit" nicht bereit waren, an den "Gottessohn" Jesus Christus zu glauben. Der Antisemitismus der Christen ist somit an die 1900 Jahre älter als der Antisemitismus der Nazis, und aus dieser christlichen Quelle haben die Nazis - und auch Martin Hohmann - ihn übernommen.
Sie übersehen dabei völlig, was jeder aufmerksame Leser des Neuen Testamentes wissen kann, dass Jesus von Nazareth, seine Eltern Josef und Maria, seine Brüder (und Schwestern?), seine Jünger und die Mehrzahl seiner Apostel und frühen Anhänger Juden waren, die an Gott glaubten, an Jahwe allein und nicht an Götter neben Ihm (das erste der Zehn Gebote).
Im christlichen Glauben an Gott-Vater, Gottessohn und Hl. Geist, also im trinitarischen Sinne gottgläubig waren die Massenmörder der Kreuzzüge, die Ketzer- und Hexenverfolger, die Inquisitoren und die fromm dienstwilligen "weltlichen" Vollstrecker von Folter und Lebendverbrennung. An Gott glaubten auch die christlichen Kolonisatoren, welche die seit langen Zeiten schon von andersgläubigen Menschen bewohnten Länder so intensiv "kolonisierten", dass dort nur noch wenige gottlose Vorbewohner überleben konnten.
Auch Bin Laden und seine El Kaida-Kämpfer glauben an Gott, den sie mit dem Namen Allah anrufen; sie glauben sogar so sehr an ihn, dass sie ohne Zögern bereit sind, in seinem Namen "Ungläubige" zu töten und dabei ihr eigenes Leben aufzuopfern.
Dagegen ist ein rasch zunehmender Anteil der deutschen Bevölkerung im Hohmannschen Sinne "gottlos". Sie haben allen Anlass, sich nicht nur gegen seinen gehässig-schäbigen Antisemitismus zu verwahren, sondern auch gegen jede Diffamierung von Andersgläubigen zu Ungläubigen ("Gottlosen"). Wehret den Anfängen!