2.4.14. Die USA-kritischen Plakate von Franz Becker

Leserbrief zu einem Beitrag in der Marbuger "Oberhessischen Presse" vom 22. 3. 2003

 

1. In welchem Land leben wir Marburger eigentlich? In dem Land der freiheitlich demokratischen Grundordnung? Anscheinend eher im Hinterland. Da entwendet die Marburger Polizei im Auftrag der Abteilung Staatsschutz "wegen Gefahr im Verzug" einige Plakate, in denen ein aufrechter Marburger vor dem Schaufenster seiner Metzgerei seine Entrüstung über die Angriffsvorbereitungen der USA im Irakkonflikt zum Ausdruck gebracht hat. Wegen "Gefahr im Verzug"? Worin besteht die Gefahr dieser Plakate, etwa verglichen mit der Gefahr von Bomben? Man sollte wissen: Die Anordnung einer Beschlagnahme steht wegen ihrer Grundrechtsrelevanz an sich nur dem Richter zu, bei Gefahr im Verzuge auch der Staatsanwaltschaft und ihren polizeilichen Hilfsbeamten, und dies auch nur, wenn die richterliche Anordnung für die erforderliche Maßnahme nicht eingeholt werden kann. Wie das im Fall Becker gelaufen ist, würde ich gerne wissen.

2. Unsere Ordnungshüter kennen offenbar noch nicht einmal die einschlägigen Gesetze, zu deren Schützern sie sich aufwerfen. Sonst wüssten sie, dass die Strafverfolgung einer Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten (§ 103 StGB) nur erlaubt ist unter der Voraussetzung (§ 104a StGB), dass ein Strafverlangen der ausländischen Regierung vorliegt und die Bundesregierung die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilt. Sind diese Voraussetzungen etwa erfüllt? Hat Präsident Bush sich über die Plakate von Herrn Becker schon beschwert, und hat unser Außenminister Fischer dessen Strafverfolgung schon erlaubt? Das würde mich sehr wundern. Aber solche rechtlichen Voraussetzungen zu überprüfen ist in Marburg wohl gar nicht nötig. Sie werden hier ersetzt durch den "vorauseilenden Gehorsam" der unteren Polizeibehörden. Aufgepasst, Bürger, da ist Gefahr im Verzuge, die Gefahr des Polizeistaates! Da geht es auch um die Verhältnismäßigkeit der Mittel. So hätte es genügt, die inkriminierten Plakate zu fotografieren, um sie als Beweismittel zu sichern. Ein Wegnehmen von am eigenen Haus des Schreibers angebrachten Plakaten, ohne dass die Voraussetzungen für eine Strafverfolgung gegeben sind, ist m.E. eindeutig rechtswidrig.

3. Zur besseren Einschätzung des Gesamtvorgangs erinnere ich an das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, an unsere uns heilige Verfassung, insbesondere an Artikel 5 (1): "Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten... Eine Zensur findet nicht statt. (2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze". Zu diesen Gesetzen gehören unter anderem die oben angeführten §§ 103 und 104a StGB, die von allen Bürgern, insbesondere von unseren Ordnungshütern, möglichst gut gekannt und beachtet werden sollten. Falls die letzteren dies nicht tun, bleibt die Frage: Wer schützt uns vor den Hütern der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (FDGO), vor den "Staatsschützern"? Das müssen wir in solchen Fällen wohl selbst in die Hand nehmen, mit Hilfe einer wachsamen Öffentlichkeit und kritischen Presse!

4. Und weil diese Geschichte sich in der Universitätsstadt Marburg (mit juristischem Fachbereich!) abgespielt hat, als letztes noch der lateinische Spruch: "Difficile est, satiram non scribere". Leben wir vielleicht doch nicht in Marburg, sondern in Krähwinkel (= Sinnbild einer spießbürgerlichen Kleinstadt)?