2.5.2.8. Epikur setzte die philosophische Tradition des Atomismus fort

Epikur war nicht nur ein exzellenter Psychologe, in Theorie und Praxis, sondern auch als Physiker auf der Höhe der wissenschaftlichen Erkenntnisse seiner Zeit, und darüber hinaus war er als Philosoph in der Lage, von den Einzelerkenntnissen zu höheren Abstraktionen vorzudringen und solche Erkenntnisbemühungen ihrerseits philosophisch zu hinterfragen und erkenntnistheoretisch zu analysieren. Er konnte dabei wissenschaftliche Traditionen nutzen, die schon vor ihm von den der menschlichen Wahrnehmung zugänglichen Phänomenen zu dem vorgedrungen waren, was als physikalisches Substrat und als grundlegende Kraft solcher Vorgänge vorausgesetzt werden konnte. Er berief sich, aus guter Kenntnis solcher Vorarbeiten, allerdings ohne immer deren Autoren auch zu erwähnen, auf einige Theorien des Atomismus, die ich hier in enger Anlehnung an Epikur, aber in eigenen Worten wiedergeben möchte, ähnlich wie das die Philosophin Gisela Striker in einem sehr lesenswerten Beitrag ("Klassiker der Philosophie", Bd. I, Hrsg. Otfried Höffe) getan hat:

Der Atomismus geht von Alltagsbeobachtungen aus, insbesondere von der weitgehenden Teilbarkeit von allem Möglichen. Getrocknete Nüsse und Getreidekörner können zu feinstem Mehl zermahlen werden, selbst Felsen können in große Steinbrocken zerfallen, diese dann in Geröll, und einzelne kleinere Steine können in Bergbächen zu runden Kieseln geschliffen und schließlich unter Gletschermassen zu feinstem Sand zerrieben werden. Eis schmilzt zu Wasser, Wasser verflüchtigt sich zu Dampf, Holz und Kohle verbrennen im Feuer zu Rauch und Asche. Das alles konnten Menschen schon seit alten Zeiten wissen. Die geistige Großtat der Atomisten Leukipp und Demokrit war es, solche Teilungsprozesse theoretisch weiterzuführen bis zu kleinsten möglichen Teilen, die sie (schon vor zweieinhalb Tausend Jahren!) als Atome, nämlich als schließlich doch nicht mehr weiter teilbare Teilchen bezeichneten. Damit verbunden war die Einsicht, dass sich mit jeder Teilung ein neues "Dazwischen" konstituierte, dass sich also ein Riss, ein Spalt, ein Zwischenraum auftat, und damit neben und außer den Atomen eine Leere, der leere Raum, konzipiert wurde, in dem sich die Teilungen bis zum Atom, und in anderer Geschehensrichtung die Verbindungen der Atome bis zu den für uns wahrnehmbaren Dingen und Körpern hin abspielen. Atome bewegen sich im leeren Raum, das ist die Wirklichkeit. Epikurs eigener Beitrag zur Weiterführung und Ausgestaltung der atomistischen Vorstellungen von Leukipp und Demokrit ist nicht zu überschätzen. Deren über lange Zeit verfemte Theorien haben sich schließlich über Lukrez und Gassendi als unverzichtbare Grundlagen der gesamten Naturwissenschaften bis in unsere Zeit behauptet und werden wohl noch weiterhin immer wieder mal ihre Renaissance erleben.