Welche 7 Wesentlichkeiten sind es wohl, die wir zur übersichtlichen Gliederung innerhalb der komplexen Ganzheit des Seins gebrauchen könnten, und wie können sie inhaltlich näher gekennzeichnet werden? Im Verlauf meines Spekulierens über diese Fragen habe ich schon so manche Liste aufgestellt, in der ich die in menschlicher Sicht wichtigsten Aspekte des Seins voneinander abzuheben versuchte. Einmal bin ich auf 30 Begriffe oder Kurzbeschreibungen gekommen, das war viel zu viel. Ich habe deshalb diese Listen noch einmal gesichtet und versucht, die 7 "wirklich" wichtigsten Wesentlichkeiten herauszufinden. Andere Autoren könnten auch andere Wesentlichkeiten nennen; ich hoffe allerdings, dass wir in einigen Punkten übereinstimmen! Wenn wir zu klären versuchen wollen, wie die 7 Wesentlichkeiten inhaltlich bestimmt werden könnten, liegt es nahe, sich dabei an schon vorhandenen Aufzählungen und Klassifizierungen zu orientieren. Wir könnten uns umschauen, welche Fakultäten oder Fachbereiche der Universitäten üblicherweise voneinander abgegrenzt werden. Dabei kommen allerdings auch alte, z.T. obsolete Traditionen ins Spiel, während neue Disziplinen anfangs noch Schwierigkeiten haben, sich als selbständige Einheiten abzugrenzen und zu konstituieren. Auf ähnliche Weise könnten wir fragen, welche inhaltlichen Klassifikationen die Sachkataloge der Bibliotheken verwenden, meist in einem dekadischen System untergebracht, das in der Zehnzahl der Unterscheidungen zwar altbewährt, aber nicht notwendigerweise sachlich angemessen ist. Wir könnten uns an der Bezeichnung und Aufgabenzuweisung der klassischen Ministerien eines Staates oder Bundeslandes orientieren, wobei störend ins Spiel kommt, dass es allein zur Befriedigung von Machtansprüchen von an der Regierung beteiligten Splitterparteien zu einer Inflation der Zahl der Ministerien kommen kann. Ein weiterer Ansatz wäre eine Anfrage bei den Arbeitsämtern, welche Hauptrichtungen von Berufen sie zu unterscheiden pflegen. Schließlich könnten wir uns in den Schriften der Philosophen umschauen und herausfinden, welche Seinsbereiche von ihnen schon einmal als für alles andere fundierend angesehen und gegen andere Letztbegründungsversuche ausgespielt worden waren. Goethe hat in dieser Weise in seinem "Faust" den Beginn des Johannes-Evangeliums persifliert:
J. W. Goethe: Faust. Der Tragödie erster Teil. (Reclam). S.36:
Geschrieben steht: "Im Anfang war das Wort!" ...
... Ich muss es anders übersetzen,
Wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin.
Geschrieben steht: Im Anfang war der Sinn. ... ...
Ist es der Sinn, der alles wirkt und schafft?
Es sollte stehn: Im Anfang war die Kraft! ...
... Mir hilft der Geist! Auf einmal seh ich Rat
und schreib' getrost: Im Anfang war die Tat!
Noch besser wäre es, gebildete Menschen zu fragen, was in der Welt sie als wichtig und grundlegend erachten. Dabei könnte allerdings statistisch eine "general-factor"-Lösung herauskommen: bislang ist immer noch für viele Menschen Gott, der Monotheos, das Wichtigste überhaupt! Die meisten der genannten Klassifizierungen überdecken sich nur zum Teil, jedenfalls nicht in einer eindeutigen 1 zu 1 Zuordnung. Manche Unterscheidungen sind sogar quasi orthogonal zu allen anderen, jedenfalls relativ unabhängig von anderen Aspekten. Aber bestimmte Aspekte werden immer wieder als wichtig hervorgehoben.
Aus solchen und anderen Quellen habe ich einen eigenen Vorschlag zur Charakterisierung, Unterscheidung und Benennung von 7 Wesentlichkeiten erarbeitet, den ich im Folgenden vorstellen möchte. Es soll hier gleich angemerkt werden, dass auch andere Unterscheidungen denkbar sind, auch andere Abgrenzungen zwischen benachbarten Bereichen. Aber der eine oder andere Bereich meiner Aufzählung, ja sogar die Mehrzahl von ihnen sollte wohl doch in jeder Gesamtübersicht berücksichtigt werden. Es geht mir auch nicht darum, im Folgenden solche 7 Bereiche nacheinander in gleicher Ausführlichkeit darzustellen. Das können andere vielleicht besser, insbesondere natürlich in Hinsicht auf den je einzelnen Bereich, mit dem sich ein Spezialist in der eigenen Forschungstätigkeit intensiv befaßt hat, während ich ihn vielleicht eher aus der Sekundärliteratur kenne. Mit diesen Einschränkungen wären etwa die folgenden 7 Wesentlichkeiten, Aspekte, Dimensionen oder Bereiche des Seins zu unterscheiden:
1. Fangen wir einfach mal mit einer ersten Seinsweise an, besser: ich fange an mit dem, das mir so nahe liegt, nämlich mein aktuelles subjektives Erleben und mein persönliches Tun und Handeln. Mein Erleben und mein Handeln, sie sind beide einbezogen in mein von der Vergangenheit über die Gegenwart bis in die nächste Zukunft überdauerndes eigenes Selbst mit der in ihm untrennbar verwobenen individuellen Erlebens- und Handlungsgeschichte. Was daran vergangen ist, mein eigenes Lebensschicksal, ist nicht mehr nachträglich veränderbar, es ist bestenfalls anders interpretierbar. Aber in die Zukunft hinein können mein Erleben und Handeln immer wieder (in Grenzen!) neu sein und anders werden, und sie sind insofern - so lange ich noch lebe! - unendbar. Mein eigenes Erleben und Handeln übergreifend gehören noch ganz nahe zu meinem Selbst auch die Inhalte meines Denkens, manches Gelesene, das ich mir "angeeignet" habe, auch das von mir Geschriebene, das immer noch meine Meinung wiedergibt, und besonders "mein Buch" (das gerade von Ihnen gelesen wird). Über all dieses spreche ich in Ich-Sätzen, auch mit "mein" und "mir" und "mich", mit "selbst" oder "selber" oder "eigen".
Neben dem, was ich als Innenseite meiner selbst erlebe, gibt es für mich auch eine Außenseite meines Erlebens, die Dinge und Wesen in der Welt, wie ich sie subjektiv erfahre. Ich habe sie schon früh, als Säugling oder eher als Kleinkind zu spüren bekommen, wenn ich etwa hinfiel oder vor einer geschlossenen Tür stand, die ich noch nicht öffnen konnte. Andererseits setze ich bei einigen Wesen, bei allen Menschen, aber auch bei manchen Tieren, ganz selbstverständlich voraus, dass diese auch so eine Innenseite, ein Empfinden, Wahrnehmen, Begehren etc. haben wie ich selbst, wenn auch vielleicht nur in den Grundzügen gleich, aber nicht in allen Besonderheiten. Wiederum kann ich eine Außenseite wie die eines Dings oder Lebewesens auch an mir selber wahrnehmen, z.B. wenn ich mich im Spiegel sehe ("so sehe ich also aus!") oder mich auf dem Tonband sprechen höre, anfangs wie einen Fremden, aber dann zunehmend vertrauter mit der Außenansicht meiner selbst und dem Klang meiner Stimme, wie sie sich über einen Lautsprecher für mich anhört. Aber dieses Von-außen-Betrachten meiner selbst ist eher nachträglich, ebenso wie die Erkenntnis, dass all das, was ich in der Welt erfahren habe, nämlich das mir familiär Mitgegebene und sozial Vermittelte, das von mir sprachlich oder bildhaft Aufgenommene, dass dies alles in starkem Maße immer noch meine Sicht der Welt ist. Aber das ist nicht nur kritisch zu sehen, denn nur über solche individuelle Aneignung und Integration kann die Vielfalt des Seienden im denkenden Menschen zur gegliederten Ganzheit zusammenfinden. Aber ich muss schon zur Kenntnis nehmen, dass das von mir selber in und außer mir Vorgefundene seine von mir unabhängige und sogar mich als Objekt einschließende Faktizität hat: ich kann nur vorfinden und mir aneignen, was schon da ist, ob ich es nun zum Gegenstand meines Denkens mache oder nicht. Auch meine eigene Subjektivität, mein je eigenes Erleben und Verhalten, von dem ich zu Beginn dieses Abschnittes ausging, kann zum Objekt der wissenschaftlichen Erforschung durch mich selbst und durch Andere werden. Die wissenschaftliche Psychologie ist aber - vielleicht in ihrer Neugier, das Erleben und Verhalten anderer Menschen besser zu erkennen und besser damit umzugehen - nicht bei der von einigen Philosophen vertretenen solipsistischen Enge der Selbstanalyse geblieben. Sie untersucht nicht nur das Erleben und Verhalten des Psychologen selbst, sondern sogar eher das von anderen Menschen und auch von Tieren im Hinblick darauf, was in ihren Weisen des Verhaltens (und Erlebens!) verglichen, unterschieden und zunehmend klarer erkannt werden kann. Und nicht ganz zufällig gelangen Psychologen bei ihrer Erforschung der Persönlichkeit, der Intelligenz und der Emotionen zu mehrdimensionalen Systemen, etwa in der Größenordnung von 7 Faktoren, die es erlauben, die beobachtbaren und messbaren Verschiedenheiten in einer "simple structure" übersichtlich und doch genügend differenzierend wiederzugeben. Auch die Praxeologie menschlichen Handelns wird von einem solchermaßen pluralistischen Ansatz profitieren können. Nicht nur wegen der großen Bedeutung der je eigenen Individualität des denkenden Menschen in der Philosophie, sondern auch als Extremmodell für die Möglichkeit einer Interpretation von höchst Verschiedenem und fast unbegrenzt Vielfältigem in einer Ganzheit, sollte die Psychologie einiges Wesentliches zu einer zugleich pluralistischen und relationalen Philosophie beitragen können. Dass ich selber ein gelernter Diplom-Psychologe bin, ist dafür wohl nicht entscheidend, denn die für die Philosophie bedeutsame Rolle der Psychologie ist seit jeher realisiert worden und sie bleibt ein weiterhin und ohnehin wichtiger, wenn auch keineswegs alles andere fundierender Aspekt. Denn die Psychologie hat auch mit der Welt zu tun, mit der Welt, die es unabhängig von meinem jeweiligen Erleben gibt, und mit der Welt, deren winziger und fraglos auch materieller Teil wir selber vor allem als Handelnde sind. Das führt uns aber schon weiter zur Diskussion der nächsten zu benennenden und zu diskutierenden Seinsweise.
2. Neben, vor und nach der Individualität des je einzelnen Menschen gibt es auch noch einiges Anderes. Als nächstes zu nennen wäre: die stofflich-dinglich-körperliche ("materielle") und durch Fern- und Nahkräfte durchwirkte Welt, in der ich lebe, in der wir leben. Sie ist in ihrer Gesamtheit vorstellbar und denkbar als Universum oder All, und in dieser Welt vorfindbar sind verschiedene Arten von Materie und Energie, unterscheidbar nach den Formen ihrer Verbindungen und Umwandlungen. Und zwar gibt es dies alles, diese Realität insgesamt, relativ unabhängig davon, ob ich selber (oder jemand) es vorfinden, wahrnehmen, mit ihm handelnd umgehen (es behandeln!) und es erkennen kann, auch unabhängig davon, ob es überhaupt Wissenschaften gibt, mit denen Menschen dies alles erforschen können. Man mag diese Einschätzung als "naiven Realismus" abtun, aber ich halte dagegen, dass ein in dieser Weise "idealistisch" argumentierender Philosoph doch einige Jahre und sogar Jahrzehnte seines Lebens recht "realistisch" gelebt haben muss, bis er in die Lage kam, eine solche Grundvoraussetzung seines Erlebens und Handelns denkend und schreibend in Frage zu stellen. Er wird es bei der nächsten Gelegenheit wieder merken: wenn er durstig und hungrig ist, essen und trinken muss, und wenn er später auf die Toilette geht: was dann aus ihm herauskommt (von dem, was er vorher in sich aufgenommen hatte), ist Materie wie der Boden, das Wasser und die Luft um ihn herum, wie Pflanzen und Tiere und seine Mitmenschen und wie er selbst. Und wenn später einmal andere Menschen ihn begraben haben, wird sein ganzer Körper mitsamt dem Gehirn, das so idealistisch denken konnte, sich allmählich in verschiedene Formen von Materie auflösen.
Die Welt und das in ihr Vorfindbare sind erkennbar durch Wahrnehmen und Denken, unterstützt und bis in Extreme verfeinert durch die Methoden (z.B. Beobachtung, Experiment, etc.) der Wissenschaften, und mit den so gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnissen, die wiederum formuliert sind in sprachlich und mathematisch präzisierten Theorien, die überprüfbar sind und die schon die eine oder andere Überprüfung ohne Korrekturnotwendigkeit überstanden haben und so als hochbestätigt gelten können. Üblicherweise wird das Sein von seinem Anfang (im "Urknall") bis zum jetzigen Zustand (im Jahre 2005), vom Elementaren (Elementarteilchen und -Energien) bis zum höchst Komplexen (dem Menschen selber und dem Geistigen) quasi in einem Stufenaufbau (Nicolai Hartmann) dargestellt. Das ist nicht zwingend, denn wenn auch wir Menschen etwas gleichermaßen in der Welt Vorfindbares sind, könnte man die Analyse des Ganzen auch mit dem Menschen beginnen und schließlich bei den Quarks (oder deren Teilchen?) ankommen. Denn dass es seit einiger Zeit Menschen gibt und mit dem Menschen vieles, was es ohne ihn nicht gäbe, das ist viel sicherer als die Annahme, dass die Quarks die allerersten Grundbausteine der Materie sind. Es ist im kernphysikalisch-kosmologischen Bereich noch so vieles unklar, dass von einem ersten (und für unser Forschen letzten) Grund des Seins sicher noch nicht gesprochen werden kann. Vielleicht sollte man auch gar nicht auf die "Große vereinheitliche Theorie" der Physik warten, sondern lieber schon jetzt akzeptieren, dass es nebeneinander 4 verschiedene Arten von Wechselwirkungen oder Kräften gibt. Wenn man ihre Verschiedenheit in genügendem Ausmaß akzeptiert und bei allen weiteren Forschungen berücksichtigt hat, könnte es leichter werden, zu einem engeren Bezug dieser 4 Theorien aufeinander zu kommen.
Bis dahin werden vielleicht noch mehr Naturkonstanten in abstrakte "Weltformeln" eingehen, und manch ein Physiker wird weiterhin vom "Naturgesetz" und seinem "Gesetzgeber", von der "Schöpfung" und ihrem "Schöpfer" raunen. Je weiter wir uns entfernen von unserer erdbezogenen Nahorientierung bis zu einem im Umgang mit Lichtjahren und Jahrmilliarden trainierten Verständnis von Raum und Zeit, um so eher wuchern und blühen postmoderne Spekulationen über das Unendliche und seine Unerkennbarkeit, über Gleichzeitigkeit und Fernstwirkungen, über das Alpha und Omega. Da versuche ich, soweit ich überhaupt darüber nachdenke, mich kürzer zu fassen: das Weltall ist wohl in seiner Gesamtheit allendlich, während die Zeit und der aus dem erkennbaren Sein weiter hinaus sich erstreckende Raum unendbar sind. Aber was soll´s: am meisten haben wir mit unseren Mitmenschen zu tun, mit denen wir uns sprachlich verständigen können.
Man kann quasi historisierend von der Naturgeschichte sprechen, aber jeweils auf bestimmte Entwicklungsabschnitte bezogen auch eine Systematik der Naturphänomene und der sie erschließenden Wissenschaften aufstellen. So beginnen wir etwa kosmologisch mit dem Ur-Knall und zugleich kern- oder quantenphysikalisch mit der Theorie der Elementarteilchen. Die lange Zeit, die verschiedene Strahlungsarten brauchen, um uns von den am weitesten entfernten Galaxien erreichen zu können, ermöglicht uns gleichzeitig einen Einblick in ebenso lange zurückliegende Zustände solcher Sternensysteme. Je näher dagegen Galaxien, Sternhaufen, Dunkelnebel und andere Typen der astronomisch erfassbaren Sternenwelt zu unserer Erde und unseren Observatorien sind, um so mehr und um so Genaueres können wir auch von ihren physikalisch-chemisch analysierbaren Besonderheiten und fast schon jetzigen Zuständen erfahren. Schon sehr gut Bescheid wissen wir über die Sterne der "Milchstraße", unserer eigenen Galaxie, insbesondere über unser Sonnensystem mit seinen Planeten, Kometen und Asteroiden, über unseren Mond, von dem Astronauten schon Einiges an Sand und Steinen mitgebracht und einer wissenschaftlichen Untersuchung zugänglich gemacht haben, und noch viel mehr wissen wir über die Entstehungsgeschichte und Innenstruktur unserer Erde. Hierbei geht es um Phänomene, die wie in der Erdbebenforschung auch etwas mit der Mechanik makrophysikalischer Vorgänge zu tun haben, aber auch mit der Chemie von Umwandlungen der Elemente und Moleküle im Erdmantel, in den Ozeanen und in der Atmosphäre. Die Naturgeschichte setzt sich fort im paläontologisch aufweisbaren Aufkommen von Lebewesen auf unserer Erde (ob welche auch anderswo auftauchten, wissen wir noch nicht!), von Pflanzen und Tieren und schließlich vom Menschen. Die Biologie mit ihren Teildisziplinen Botanik (die Pflanzen betreffend) und Zoologie (die Tiere betreffend) untersucht diese Organismen systematisch, auch das "Tierliche" im Menschen, das genetisch und physiologisch untersuchbar und theoretisch erklärbar ist, bis zur Physiologie menschlichen Verhaltens und Erlebens, dessen Innenseite ja schon als Bereich für sich besprochen wurde. Nur soll das nicht so verstanden werden, als wäre menschliches Erleben "eigentlich nur" so etwas wie eine überaus komplizierte Form von molekularen Prozessen unseres Zentralnervensystems. Nein, beide Bereiche, die Subjektivität des Menschen und das in der Welt Vorfindbare (dazu gehört auch etwa das zentrale Nervensystem des Menschen!), sie sind zunächst je für sich zu nehmen, in relativer Unabhängigkeit voneinander, wenn auch theoretisch eng aufeinander beziehbar und im Falle der psychophysischen Zusammenhänge von Anfang an faktisch eng aufeinander bezogen.
3. Wiederum unabhängig von den zuerst diskutierten zwei Bereichen des Seins ist drittens die Eigenwelt der Zeichen, Zahlen, Symbole, Worte und Bedeutungen. Selbst wenn alle Hirnzentren oder -strukturen identifiziert werden könnten, von deren ungestörtem Funktionieren das menschliche Sprachverstehen und Selber-Sprechen, das Erkennen von Bildern und Zeichen, der Umgang mit Formen und räumlichen Beziehungen, das kurz- und langfristige Erinnern, die optimierte Feinmotorik und die Flüssigkeit der Ideenproduktion etc. abhängen, selbst dann macht es Sinn, dem nachzugehen, was innersystemisch die Eigengesetzlichkeit des Geistigen ausmacht. Naheliegend ist es, von der kommunikativen Funktion unserer Sprache (und der weitgehend ineinander übersetzbaren Sprachen, aller Sprachen!) auszugehen. Zumindest sind sie praktisch alle einigermaßen ins Englische übersetzbar, das sollten wir nutzen! Diese Übersetzbarkeit der Sprachen ist begründet in der den Sprachen gemeinsamen Grundstruktur, der Unterscheidbarkeit von a) der semantischen Bedeutung der Namen und Worte, b) der Syntax sprachlicher Aussagen und verschiedenen Aussageformen, und c) der Pragmatik von Sprachverwendung zum Vermitteln von Information oder auch zum Überreden, Belügen oder Beschimpfen eines Partners. Nützlich wäre die Rückbesinnung darauf, dass der Polylog (das Miteinander-Sprechen mehrerer Menschen) älter ist als der Dialog (das Zwiegespräch) und dass der Monolog schon so etwas wie eine Fehlform des Sprechens ist, selbst wenn dabei noch einer zuhört. Sprachen dienen uns zur intersubjektiven Verständigung und davon abgeleitet auch zum Selbstverständnis des einzelnen Menschen, und zwar beides zunächst mit Hilfe der alltäglichen Umgangssprachen, auf einer höheren Ebene aber auch im Formulieren und Definieren abstrakterer Begriffe, im Aufstellen von Theorien und im hermeneutischen Klären oder Erschließen oder gar Setzen von Sinn. Aber bis in die höchsten Abstraktionen der Einzelwissenschaften und der Philosophie bleiben die Umgangssprachen dennoch die Meta-Sprache oder Basis-Theorie für alles Verstehen und Verständlichmachen. So betreibt die "Philosophie der normalen Sprache" mit sprachanalytischen Methoden die Erläuterung und Klärung des Sinns oder auch Unsinns von Aussagen, versucht sie weiter zu präzisieren, entwickelt Kategorien für das, was die Verständlichkeit einer normalen Sprache ausmacht oder verbessern kann.
Zu analysieren sind auch die längst in unserem Sprechen und Denken verfügbaren Schlussverfahren und weiterentwickelten logischen Strukturen und Gesetzlichkeiten, vereindeutigt und formalisierbar in logisch verwendbaren Zeichensystemen in der Nähe zur Mathematik, zu deren Symbolen und den damit präzisierbaren Relationen. Das Reich der Zahlen und geometrischen Entsprechungen, der Mengen und der Maße, in ungeheurer Komplexität auseinandergefaltet aus wenigen unableitbaren Axiomen, die konstruktiv gesetzt oder auch verändert werden können, das erscheint uns als dermaßen eigengewichtig, dass das Fragen nach neurologischen Korrelaten des Rechnens oder nach der Psychologie mathematischer Beweisführungen als zwar zulässig, aber keineswegs für die Mathematik fundierend erscheinen kann. Denkinhalte haben ihren Eigenwert auch unabhängig davon, ob ihnen irgendeine Realität außer ihrem Gedachtwerden zukommt.
Eng mit der Sprache verbunden sind auch die Möglichkeiten der Schrift, von der Bild- oder Sinnschrift über die Buchstaben-Lautschrift bis zur binär fundierten Computerschrift. Menschen haben schon früh herausgefunden, mit Naturfarben oder mit kratzend-ritzenden Werkzeugen etwas ins Bild zu setzen, an eine Steinwand, in ein Holz oder einen Knochen oder Geweih, was z. T. über viele Jahrzehntausende in unsere Zeit überdauern konnte und in Grenzen heute noch als Bild von etwas verstanden, als sinnträchtiges Symbol gedeutet oder als Zeichen gelesen werden kann. Sprache wird mündlich geäußert, Bilder, Symbole und Zeichen werden auf dauerhaften Materialien fixiert, damit die in ihnen enthaltenen Informationen auch von einem räumlich-zeitlich entfernten Empfänger verstanden und verwertet werden können. Senden und Empfangen schließen komplexe Umwandlungen ein, aber bei aller technischen Umsetzung geht es schließlich doch darum, Sinn zu transportieren und auch zu vervielfältigen. Ein einzelner Sender kann viele Empfänger erreichen, ebenso wie ein Empfänger, der darin geschult ist, viele verschiedene Informationen aufnehmen und verarbeiten kann, und zwar nicht nur als eine korrekte Wiedergabe der anfangs ausgegebenen Informationen, sondern auch in ihrem kritischen Vergleich, im Aufspüren von Entsprechungen, in Verwandlungen und Neuformulierungen zum besseren Verständnis für weitere Empfänger (z. B. Leser), die teilweise Jahrtausende nach der ersten schriftlichen Festlegung eines Sinnes inzwischen ganz andere Sprachen sprechen und über ganz andere Verstehensvoraussetzungen verfügen. Dennoch kann Sinn, auch unvollständiger und verdorbener, entstellter, schon fehlinterpretierter Sinn neu erschlossen werden, und zwar mit hermeneutischen und anderen geisteswissenschaftlichen Methoden, die auf ihre Weise zur Erweiterung unserer Kenntnisse beitragen, anders als die in den Naturwissenschaften entwickelten Methoden von Beobachtung, Experiment und statistischer Datenverarbeitung, aber im Rahmen der Erschließung des Ganzen gleichermaßen bedeutsam sind. Bis heute behalten solche Bilder, Symbole und Zeichen ihre Funktion, das Wesentliche aus dem Zufälligen herauszuheben, oder eine Vielzahl von Einzelheiten auf einer höheren Ebene zusammenzufassen. Wie arm wäre eine Philosophie, die sich auf eine Kombination sprachlicher Abstraktionen beschränken würde, die nicht mehr fähig wäre, auch Nicht-Spezialisten mit sinnträchtigen Bildern anzusprechen; wie abgehoben wäre eine Philosophie, die den Kontakt mit der emotional fundierten religiösen Mythologie, mit der bunten Welt der Götter verloren hätte, aus der sie sich einmal herausgebildet und dann von ihr emanzipiert hatte.
4. Womit setze ich diese Aufzählung fort? Ich könnte jeden der verbliebenen 4 Bereiche als nächsten behandeln, weil es keine vorgegebene Abfolge oder gar Rangfolge der Seinsbereiche gibt, genauer: nicht geben sollte! Auch in der Philosophie geht es nämlich nicht nur um das Nachvollziehen eines schon Gegebenen, sondern es kann wichtig werden, Wünschbares, das es noch gar nicht gibt, ebendeshalb zu fordern. Das war schon immer so: Menschen haben die Fähigkeit, sich etwas vorzustellen, das schon lange nicht mehr oder auch das noch gar nicht vor ihnen steht, und diese Vorstellungen können zu dem Wunsch führen, das Vorgestellte wirklich zu haben oder selber zu tun, oder aber es anderen abzuverlangen, ebenso wie man sich vorstellen konnte, dass es in Zukunft nicht mehr das gibt, was man schon immer loswerden wollte. So hat es Gesolltes oder Abgelehntes immer schon gegeben, von den sozialen Selbstverständlichkeiten einer Gruppe oder eines Stammes über von Herrschern eingeforderte und dann zwingend geltende Normen bis zur utopischen Setzung neuen Sinns! In diesem Abschnitt soll es also um das Reich der Normen gehen.
Die Religionen, schon die polytheistischen, aber auch noch und ganz besonders die monotheistischen, bieten für Sollensforderungen einen Rahmen und eine Begründungsgrundlage. Es ist überzeugender, der Forderung eines verehrten allmächtigen Gottes nachzukommen, als sich dem Befehl eines Gewaltherrschers zu beugen. Insbesondere der Usurpator, der unrechtmäßig die Macht ergriffen hat, will etwas Neues und Anderes, verlangt Umstellung, während die Religionen, selber durch alte Traditionen überliefert, alte ethnische Erinnerungen zu erhalten (zu konservieren) suchen und auch in diesem Rahmen moralische Forderungen weitertradieren können, bis zur Selbstverständlichkeit dessen, was lange zuvor einmal unverstandene oder abgewehrte Forderung war. Viele Forderungen, die ursprünglich von Siegern und Herrschern, später von Propheten und Priestern ausgingen, sind - zumindest in unserer "westlichen" Zivilisation - zu allgemein gültigen Pflichten und Rechten säkularisiert worden und haben sich zu Prinzipien und Instanzen des Rechts weiterentwickelt. Im Zivil- und Strafrecht kam es zu einer alle Staatsbürger (auch die Herrscher und die religiösen Normsetzer!) verpflichtenden Normierung des Verbotenen und Gebotenen und ggf. auch des Erlaubten, das dann ausdrücklich von Strafverfolgung verschont werden sollte (wie z.B. das Töten anderer Menschen durch Scharfrichter oder durch Soldaten, das aus diesem Grunde auch anders benannt wurde: "hinrichten" bzw. "vernichten"). Es geht im Recht (systematisiert und interpretiert in den Rechtswissenschaften) um den Schutz von Rechten, aber auch um die Durchsetzung von Pflichten (ich komme an anderer Stelle darauf zurück). Dabei ist entscheidend die den Rechtsstaat kennzeichnende Gewaltenteilung: die relative Unabhängigkeit 1. der Festsetzung des Rechts durch die Legislative (Norm-Setzung), 2. der Umsetzung und Verwirklichung des Rechts durch die Exekutive (Norm-Realisierung), 3. der Kontrolle und Sicherung der Rechtmäßigkeit des privaten und staatlichen Handelns durch die Judikative (Norm-Sicherung) und 4. des Diskutierens und des Veränderungen fordernden Infragestellens der Rechte in der "Interpretative" der freien Presse, z.B. des "Spiegel" (zur Norm-Diskussion und Norm-Klärung).
Die Diskussion darüber, was recht ist und was unrecht ist, das ist keine Errungenschaft erst unserer Moderne. Denn Selbstverständliches ist seit jeher nicht für jeden von selbst verständlich; einzelne konnten schon in der Antike darüber ins Grübeln kommen, ob das, was als "gute" und "rechte" Selbstverständlichkeit überliefert oder neu gefordert wurde, wirklich allgemein wünschenswert ist und wirklich handlungsleitend sein sollte. Schon frühe Philosophen wie Sokrates stellten die Frage nach dem sittlich Guten abgelöst von den religiös überlieferten Mythologien und von den aktuellen politischen Forderungen; sie suchten die Ethik aus moralischen Überlegungen und Diskursen rational zu begründen. Seit der Aufklärung ist bis in unsere Zeit versucht worden, alte Forderungskataloge wie die 10 Gebote in Frage zu stellen oder aber von rationalen Prämissen abzuleiten. Es kamen neue Sichtweisen des Wünschbaren auf, neue Entwürfe für das, was im Sieg einer Weltanschauung oder Ideologie nun endlich zum Wohl der Menschheit realisiert werden müsse. Dass solche Forderungen schließlich selber quasi-religiös begründet und den Menschen als Zwang auferlegt wurden, hat Zweifel an solcher Realisierung von Utopien geweckt. Es bleibt aber die Frage, an welchen Zielen und Forderungen wir uns selber orientieren sollten und welche Orientierungen (mit nicht nur aufklärendem, sondern auch verpflichtendem Charakter) wir an unsere Kinder und weiteren Nachkommen weitergeben sollten. Menschen leben nun einmal in einer z.T. gefährlichen Umwelt, was zur Schadensvermeidung das Einhalten gewisser Schutz- und Vorbeuge-Richtlinien erforderlich macht. Das ist nicht nur eine technische Frage, sondern oft eher eine der Erziehung zur angemessenen Nutzung von Technik. Menschen leben mit anderen Menschen zusammen, was Interessen-Differenzen und -Kollisionen unvermeidbar werden läßt und Regeln nötig macht, wie mit diesen umzugehen sei.
5. Schon mehrfach in der Diskussion der bisher umrissenen Bereiche kamen menschliche Gesellungen ins Spiel, kam das Soziale zur Sprache: 1. Die eigene individuelle menschliche Subjektivität verwies auf die Subjektivität des jeweils anderen Menschen, schließlich aller Menschen; 2. die naturwissenschaftlich erforschbare Phylogenese des Menschen setzt schon in äffischen Vorzeiten bewährte Gesellungen unserer Primaten-Vorfahren und soziologisch analysierbare soziale Beziehungen der Jetztmenschen voraus; 3. die Sprache ist ein eminent intersubjektives Phänomen und sie kann sich überhaupt nur im Rahmen des überlieferten Sprachgebrauchs von Familien und höher organisierten sozialen Gruppen entwickeln; und 4. Normen sind sprachlich als Sollsätze formulierte Setzungen, die für Menschen in ihrem Zusammenleben notwendig und verpflichtend sind. So sind menschliche Gesellungen ein weiterer bedeutsamer Bereich des Seins und sie sollten für sich wichtig genommen und in ihrer Eigengesetzlichkeit untersucht, verstanden und wenn möglich in der Qualität ihrer Kommunikation verbessert werden.
Jeder Mensch wird als Mitmensch geboren, kann aber in Einsamkeit geraten und sich für das Alleinsein entscheiden. Besser nicht! Menschen waren nie von sich aus Einzelgänger. Kinder haben Mütter und Väter, Männer und Frauen tun sich zusammen, zeugen und gebären Kinder. In der Vorzeit lebten Menschen als Sammler und Jäger in kleineren bis größeren Verwandtschaftsgruppen oder Sippen, und diese waren locker zu Stämmen verbunden, innerhalb derer oder auch zwischen denen (in diesem Falle exogame) Heiratsbeziehungen möglich waren. Die Großfamilie war nur ein Teil solcher Gruppen, und die Kernfamilie von Mann und Frau und deren Kindern war wiederum auf den Rückhalt in der Großfamilie und Sippe und ggf. im Stamm angewiesen. Aus solchen Anfängen entwickelten sich Gesellungsformen, die sich in größerer Unabhängigkeit von primären Verwandtschaftsbeziehungen konstituierten und in denen eine differenziertere Arbeitsteilung auch die Zuwanderung oder Versklavung von vormals sogar sprachlich fremden Spezialisten als nützlich erscheinen ließ. Zusammenarbeit war zunächst das Naheliegende, Konkurrenz geschah weniger innerhalb der Gruppe als vielmehr zwischen einander fremden benachbarten Gruppen und konnte auch zu gewalttätigen bis systematisch kriegerischen Auseinandersetzungen führen. Die Bildung von Großgemeinden und schließlich Stadtstaaten im Zuge der "neolithischen Revolution" im Vorderen Orient, als der Anbau von Feldfrüchten und das Halten von Herdentieren eine größere Bevölkerungsdichte möglich machte, führte zu weitgehenden Veränderungen menschlicher Gesellung. Es konnte dann für Jäger und Sammler, die in der Nachbarschaft der ersten Dörfer umherstreiften, naheliegend sein, diese zu überfallen und auszurauben; und zwischen der Viehzucht der einen und der Viehräuberei der anderen hat es sicher schon immer fließende Übergänge gegeben. Nicht nur Viehherden konnten geraubt werden, nicht nur gehortetes Getreide konnte weggeführt werden, sondern auch Menschen (zunächst sexuell attraktive Frauen, dann auch männliche Arbeitssklaven, schließlich auch Kinder, die später mal für den einen oder den anderen Zweck dienen konnten). Auch Menschen wurden zur kumulierbaren Ressource, und für die Herrscher war das von ihnen besiegte und unterdrückte Fremd-Volk und letztlich auch das eigene Volk zum kumulierbaren Menschenmaterial geworden, als Mittel zur weiteren Vermehrung von Reichtum und militärischer Macht. Aus diesem Grunde ist auch die Akkumulierung sachlicher Güter hier anzuschließen, die ja ohne Einsatz von Menschen nicht möglich war und gleichzeitig zur Ernährung und Ausrüstung von eigenen Streitkräften dienen konnte.
Kumulierbare, hortbare, vermehrbare, transportierbare, tauschbare etc. Ressourcen waren wichtiger Anlass für soziale Auseinandersetzungen und sie bestimmten zugleich den Ausgang von Streitigkeiten und Kriegen. Neben den Menschen des eigenen Stammes oder Volkes, den Sklaven, dem Vieh und den Nahrungsvorräten war der Zugang zu bebaubarem Land, zu Wasser und zu Holz und zu Bodenschätzen wie etwa Erzen zur Herstellung von Waffen, der Besitz von Edelsteinen und Edelmetallen, später von Geld, das Verfügen über eigene Truppen und später über Wählerstimmen, der Rückgriff auf Bündnispartner etc., waren alle diese Ressourcen wichtig als Beitrag zur weiteren Akkumulierung von Macht und Einfluss. Über all dies nicht zu verfügen verdammte zur politischen Ohnmacht und Hilflosigkeit, verstärkte sich zu Not und Elend, wie es schon im NT heißt: "Wer hat, dem wird gegeben, und wer nicht hat, dem wird noch genommen"! Dies gilt auch heute noch, nur dass die Macht quasi sublimiert wurde in die finanzielle Macht der Banken und Konzerne.
Aus diesen sachlichen Zusammenhängen ergeben sich auch die interdisziplinären Beziehungen zwischen 1. der Geschichte und in anderer Blickrichtung der Geographie, die den sozialen Entwicklungen über die Jahrtausende bis in die Neuzeit und vom Vorderen Orient über alle Kontinente nachgeht, 2. der Soziologie, die verschiedene Formen menschlicher Gesellungen und der in ihnen auftretenden sozialen Phänomene untersucht, und 3. der Politologie, die den Aspekt der Kumulierung und Kontrolle von Macht genauer zu analysieren versucht, und schließlich 4. der Wirtschaftswissenschaft, welche die kommerziellen und finanziellen Aspekte thematisiert. Nicht ganz zufällig gibt es in einzelnen Universitäten auch die Kombination dieser Einzelfächer zu einer übergreifenden Gruppe oder Fakultät von "Wirtschafts- und Sozialwissenschaften". Diese Disziplinen und ihre Theorien sind nun, das ist inzwischen fast überflüssig zu betonen, keineswegs von Phänomenen und Erkenntnissen der Sozialpsychologie ableitbar. Sie haben wie die in den vorgenannten Bereichen aufgezählten wissenschaftlichen Disziplinen ihre Eigenbedeutung, ihre eigenen Forschungsmethoden und ihre je eigene Begrifflichkeit.
Menschliche Gesellungen sind im Innenverhältnis auf ein Mindestmaß an gesellschaftlicher Kontinuität angewiesen: dazu verhelfen Selbstverständlichkeiten und Üblichkeiten (O. Marquard: Usualismus). Bei größeren und komplexeren politischen Systemen ist deren Stabilität davon abhängig, ob in ihnen eine ausreichend gute Kommunikation zwischen Basis und Führungsspitze besteht, ob die Sicherung vitaler Bedürfnisse gewährleistet ist, ob Machtballungen und Monopole kontrolliert werden können, und ob intelligente Innovationen technisch-wirtschaftlich genutzt werden können und in allen Bereichen Konkurrenz möglich bleibt und zur Verbesserung der Angebote führen kann. Im andern Falle kann es zu sozialen Auseinandersetzungen kommen, zu Protesten, Aufständen und Revolutionen, oder auch zum Staatsstreich von oben, in dem sich unkontrollierte Nebenmächte wie das Militär, der Geheimdienst oder auch eine Partei des Staates bemächtigen und das Volk mit repressiver Gegenmacht unterdrücken. Der gesellschaftliche Zusammenhang wird auch bedroht durch die Abkoppelung großstädtischer Slumgebiete vom allgemeinen Wohlstand, auch durch die Entwicklung mafiöser Substrukturen mit "Paten" und von ihnen abhängigen "Klienten". Auf zivilere Weise kann der notwendige Interessenausgleich zwischen "rechten" und "linken" Parteien im Parlament ausgehandelt werden, können zur Lösung von Konflikten vermittelnde und als ehrliche Makler dienende Instanzen eingerichtet werden. Eine freie Presse (z.B. "Der Spiegel") und weitere im Mindestmaß unabhängige Massenmedien (Rundfunk, Fernsehen etc.) können zur Aufdeckung von Missständen und zur Klärung der Probleme beitragen.
Die im innergemeindlichen und innerstaatlichen Interessenausgleich bewährten Mittel können auch zur Lösung zwischenstaatlicher Konflikte herangezogen und genutzt werden. Inzwischen organisieren sich immer konsequenter die Nationalstaaten zu größeren Staatengruppen und Machtblöcken, aber es gibt auch schon einen zunehmend stärkeren Einfluß von Institutionen globalen Ausmaßes wie der UNO. Wir sind auch politisch auf dem Weg zu einer globalen Menschheit! Es muss nur sichergestellt werden, dass im Sinne des Subsidiaritätsprinzips die unteren politischen Einheiten nach Möglichkeit über all das selbst bestimmen können, was sie ohne Konflikt mit neben- oder übergeordneten politischen Einheiten selber regeln können.
6. Die Technik ist keine Erfindung der Neuzeit oder des "Westens". Der Gebrauch von Werkzeugen ist älter als die Menschheit. Schon freilebende Schimpansen, zumindest einige unter ihnen, können harte Nüsse mit Steinen aufklopfen, Ameisen mit Grashalmen oder entlaubten dünnen Zweigen angeln und Feinde mit Knüppeln bewerfen, um sie zu vertreiben. Und sie können solche Techniken durch Nachahmung erlernen und durch Vormachen an Jüngere weitergeben. Beim Menschen haben sich solche Fertigkeiten ganz erheblich weiterentwickelt und zu dem ausgebaut, was wir Technik nennen. Die Technik wird gern als gezielte Anwendung naturwissenschaftlichen Wissens (vgl. Bereich 2) verstanden, aber das wird ihrer Eigenbedeutung nicht gerecht. Viel eher könnte man die Wissenschaft als eine relativ spät eingeschaltete Erkennens- und Begründungs-"Schleife" ansehen, durch die schon vorher verfügbare Techniken immer noch weiter verbessert und andere Techniken neu begründet werden können.
Die Technik könnte auch der Sprache (Bereich 3) und der Kunst (Bereich 7) an die Seite gestellt werden, als eine weiterhin andere Art, wie Menschen etwas schaffen können, das es vor dem Auftreten der Menschen in dieser Weise noch nicht gab, der Kunst darin ähnlich, dass es in beiden um Praxis geht, von der Kunst aber darin unterschieden, dass es in der Technik nicht so sehr (aber immerhin auch!) darum geht, etwas Schönes, Beeindruckendes, ggf. auch Erschreckendes zu schaffen, sondern vielmehr etwas, was "funktioniert": was hilfreich und dienlich ist, um etwas zu bewirken, um einen Sachzweck zu erfüllen, um etwas, was man vielleicht sogar ohne Technik tun könnte, mit Hilfe der Technik weitaus besser zu machen, z.B. besser als die Schimpansen Nüsse zu knacken (mit einem Nussknacker), etwas zu angeln (auch Fische, kleine und recht große), oder Feinde zu vertreiben. Beim Letztgenannten kommt allerdings die Frage auf, ob es nicht besser gewesen wäre, wir wären beim Drohen mit Stöcken und Werfen von Steinen geblieben, statt Atombomben zu bauen, die nicht nur die Feinde, sondern die ganze Menschheit vernichten können. Technik ermöglicht aber auch, sich schneller als der schnellste Läufer fortzubewegen, über größere Entfernungen zu kommunizieren, bessere Ernten zu erzielen, gesünder und länger zu leben, und schließlich auf dem Mond zu landen (das letztere hätte man ohne Technik nie erreichen können!). Ohne Zweifel hat die Technik dem Menschen viel gebracht, vor allem mit der Ausnutzung von verfügbaren Energien, angefangen mit der Wärmeenergie des Holzfeuers, dann mit der Nutzung von Kohle, Erdöl und Erdgas (solange die unterirdischen Lagerstätten davon noch etwas hergeben können), mit der Umsetzung von Wärmeenergie in leichter "transportierbaren" elektrischen Strom. Aber wir sehen immer deutlicher, dass wir mit dem Einsparen von Energien schon jetzt Ernst machen müssen, und dass wir in absehbarer Zeit auf erneuerbare Energien umgestiegen sein müssen, auf die (nur begrenzt verfügbare) Wasserkraft, auf Gezeitenkraftwerke, Erdwärme und Sonnenenergie, auf die Ausnutzung der Winde an Küsten und auf Höhen.
Die Technik lehrt uns, im Verfolgen von Zielen auf Kosten-Nutzen-Relationen zu achten, den Nutzen zu maximieren und die schädlichen Folgen zu minimieren. Wie in der Medizin bedarf es auch in der Technik einer wohlüberlegten Indikationsstellung: der Begründung und Überprüfung einer Praxis, welcher auch immer, in Hinsicht darauf, ob sie sachlich geboten, rechtlich erlaubt, moralisch gefordert und möglichst frei von schädlichen Nebenwirkungen ist. Wenn nicht, "dann erschlagen sie den Techniker oder Wissenschaftler", nein, es genügt schon, einen Industriebetrieb für die von ihm verursachten Schäden in voller Höhe haftbar zu machen! Über die in ihrem Bereich eingesetzten Methoden hinausgehend lehrt uns die Technik, auch bei anderen Vorhaben kleine Schritte zu machen und das Erreichte ständig wieder zu überprüfen, ob es wirklich zielfördernd und zugleich schadensfrei und kostengünstig ist. Techniker konfrontieren den Utopisten mit der Frage nach der Durchführbarkeit, mit dem Problem der Sachzwänge (die es nicht nur als faule Ausrede gibt!), die sich aus dem einmal Angefangenen immer weiter (und manchmal vorher gar nicht bedacht!) ergeben können, mit dem Problem der Erhaltungs- und anderer Folgekosten, die beim großartigen Bau einer neuen Struktur oft nicht genügend bedacht worden waren. Mittlerweile hat sich Technik in einem nicht nur philosophischen, sondern ganz realen Sinn selbständig gemacht: Es wird technisch nicht nur das gemacht, was man braucht, was in der einen oder anderen Weise menschendienlich ist, sondern es wird gemacht, was machbar ist, auch Massenvernichtungswaffen, auch Massenverdummungs-Unterhaltung, auch Massenvergiftungschemie im Pflanzenschutz. Technik bedarf daher der Kontrolle durch außertechnische Instanzen und Mächte, um schädliche Technikfolgen zu mindern oder aufzuheben, wobei zu dieser Kontrolle notwendig werden kann, selber wieder Wissenschaft und technische Verfahrensweisen einzusetzen. Technikfolgen wie Luftverschmutzung, Auflösung des Ozonschildes, Vergiftung von Gewässern und Meeren und ihre biologischen Auswirkungen müssen unter Einsatz alternativer Techniken wieder aufgehoben werden. Das ist lebenswichtig für alles Leben, angefangen beim Meeres-Plankton über Pflanzen und Tiere bis zum Menschen, weil für alles Leben das Wasser und für vieles Lebendige die saubere Luft unverzichtbar sind. Durch die Nahrungskette können beispielsweise Gifte sogar von den primitivsten Plankton-Einzellern über Krill-Krebse und Fische und Meeressäuger bis zum Menschen, der als letzter von deren Fleisch und Fett lebt, sich anreichern bis zur Gesundheitsschädlichkeit. Aber wie die Technik uns ermöglicht hatte, auf solche Nahrungsquellen zurückzugreifen, so ist auch eine environmentologische Wissenschaft und Technik (K. Lickint) dazu nötig, die negativen Technikfolgen zu erkennen, richtig einzuschätzen und nach Möglichkeit zu vermeiden, zu vermindern oder aufzuheben. Technik kann somit der Erhaltung einer im Mindestmaß weiter lebensförderlichen anorganischen und biologischen Umwelt dienen, und sie dient als Medizin der Erhaltung und Wiederherstellung der biologischen Funktionen des menschlichen Organismus selbst (vgl. Bereich 2).
Inzwischen haben Wissenschaft und Technik auch möglich werden lassen, das im Menschen weiterlebende biologische Erbe vor Umweltschäden und vor schädlicher Selbstveränderung zu schützen und sogar zum Positiven hin zu ändern. Nicht ins beliebig Utopische, aber vielleicht in der Identifizierung und gezielten Behandlung von Erbkrankheiten mittels gentechnischer Methoden. Denkbar ist auch, dass Menschen sich darauf einigen können, wenigstens die Weiterverbreitung schädlicher Mutanten des Genoms zu verhindern und darüber hinaus eine positive biologische Ausstattung zu fördern. Dabei geht es sicher nicht um die Wiederaufnahme von Nazi-Zielen und -Methoden, nicht um Rassereinheit, Zwangssterilisierung und Ausmerzung "unwerten" Lebens bis zum Massenmord, der im Holocaust ohnehin zutiefst religiös begründet war und dessen "biologische" Rationalisierung schon damals nichts mit Biologie als Wissenschaft zu tun hatte. Im Unterschied dazu könnten Teams von Fachleuten, die in ihrer Tätigkeit gesetzlichen Kontrollen unterliegen, im Einvernehmen mit den genetisch Kranken und ihren Angehörigen und im Einklang mit den Menschenrechten nach humanen Problemlösungen suchen, die auch praktikabel sind. Der Mensch ist in der Lage und sollte die Möglichkeit haben, die Verantwortung für sich selbst zu übernehmen und sich dabei auch um sein biologisches Erbe zu kümmern. Nicht weil dieses, oder das Leben oder die Gesundheit, der höchste Wert wäre, beileibe nicht, sondern weil seine Erhaltung und Förderung dazu dienen könnte, auch andere hohe Werte besser zu realisieren!
7. Ich komme zu dem in dieser Zusammenstellung vorerst letzten Bereich der 7 Wesentlichkeiten, zu Bereich des Schönen und der Kunst. Dass Kunst seit je her etwas mit Schönheit zu tun hat, steht wohl außer Frage. Schon vor der die Schönheit darstellenden Kunst gab es das Schöne, dem Menschen mit Bewunderung begegnen konnten, was sie zum Hinsehen bewegte, von dem sie sich angezogen fühlten, das ihren Blick auf sich lenkte, von dem sie hingerissen waren: die schöne Frau, das strahlend lächelnde niedliche Kind, der "männliche" Mann, der stark, tüchtig, erfolgreich und gut gewachsen war. Einmal gesehen, kann das Bild eines solchen Menschen unverwischbar vor Augen bleiben, kann Beziehungswünsche und sexuelle Begierden wecken, und den Wunsch, das Schöne nicht nur zu betrachten, sondern zu ihm hinzugehen, es zu sich zu holen und für sich zu haben. Die heutige Werbung ist ohne Ausnutzung des in dieser Weise schlicht Schönen nicht denkbar. Es geht dabei gar nicht um höhere ästhetische Qualitäten, sondern um einfache und zugleich werbewirksame Merkmale, die ich hier gar nicht aufzählen muss. Das von K. Lorenz identifizierte Kindchen-Schema ist schon im vormenschlichen Verhalten stark wirksam, wird aber auch gezielt in der Werbung eingesetzt. Ein Blick auf die Cover-Seiten von Zeitschriften an einem Kiosk oder auf das alles, was in der Werbepause des kommerziellen Fernsehens sogar mit dem spannendsten gerade unterbrochenen Film um unsere Aufmerksamkeit konkurrieren soll, das genügt, um diese basale, primäre, weitgehend ungelernte Art von Schönheitsempfinden zu verdeutlichen. Auch die bildende Kunst der Antike und ihre Weiterentwicklungen bis heute haben das Thema menschlicher Schönheit dankbar aufgegriffen, schon einfach deshalb, weil so etwas gern gesehen, beachtet, für sich selbst gekauft und als Bild aufgehängt oder als Statue aufgestellt wurde.
Ähnlich direkt beeindruckt manches Schöne oder Faszinierende in der Natur, die Schönheit einer Blüte (mit der sich die Menschen dann auch gern schmückten), der Glanz bunter Vogelfedern, schöne Schmucksteine und Schminkfarben, schöne Muster und Farbkontraste. In anderer Weise schön ist die Gestalt und der geschmeidige Gang mancher Tiere, besonders niedlich natürlich wieder die Jungtiere, unter ihnen wirkliche Kuscheltiere mit dem optimalen Kindchenschema. Auf andere Weise fasziniert das Zupacken des Beutegreifers, der Kampf tierischer Giganten, die Beobachtung entfesselter Naturgewalten, die in den Himmel ragende Bergspitze (das Matterhorn!), aber auch die weichen Wellen der Wanderdünen. Diese Aufzählung, die zugleich eine der unsterblichen Kitsch-Themen ist, kann gar nicht zu Ende geführt werden, denn unsere Welt ist voll von Phänomenen, Dingen und Wesen, die unseren Blick auf sich ziehen, schon seit jeher.
An einzelnen der genannten Beispiele konnte schon deutlich werden, dass auch Negatives unsere Neugier und unsere Anteilnahme wecken kann, sogar durch seine Hässlichkeit und Entstellung: es gibt dann ein Hingucken-Müssen und ein Weggucken-Wollen, und doch lenkt dieses ambivalent Negative wieder den Blick des Betrachters auf sich; das Abstoßende ist dann zugleich irgendwie faszinierend, weckt so etwas wie eine Ekel-Neugierde, für die sich einer sogar schämen kann; er betrachtet das Objekt dann nur noch aus den Augenwinkeln! Erst in unserer Zeit hat man wieder klarer realisiert, dass Kunst auch mit dem Hässlichen zu tun hat, mit dem Kontrast des Originellen zum selbstverständlich Angenehmen, mit (auch peinlicher!) Überraschung, mit Differenz, die vom Künstler auch provozierend eingesetzt wird, bis zur blasphemischen Provokation: dann warten die Leute darauf, ob Gott sich das gefallen läßt! Aber damit sind wir schon von der "natürlichen" Schönheit und Hässlichkeit zur "künstlichen" Kunst weitergegangen, zu der von Menschen geschaffenen und künstlerisch gestalteten Welt, zu der Kunst als etwas Gemachtem und sogar Eingemachtem: in Schallplatten, Tonbänder und Disks konservierte Musik, in Bildbänden wegstellbare Malerei und Graphik. Unter "Kunst" wird meist zunächst die Malerei und Bildhauerei, die Architektur, der Tanz und die Musik, das Theater und die Literatur verstanden, eben alles was man ästhetisch genießen und dazu noch aufsuchen oder kaufen kann.
Inzwischen hat "Ästhetisches" im allgemeinsten Sinn weitere Bereiche erobert, nach dem Theater auch den (Kino-)Film und die Produktionen der elektronischen Medien, dort auch zunehmend stärker die Werbung. Auch der Sport ist mit messbaren Leistungen und Rekorden nur ungenügend charakterisiert. Dazu gehört auch der (inzwischen, nach Kontrolle der Doping-Methoden wieder erfreuliche) Anblick der Sportler und Sportlerinnen, dazu gehört die Zeitlupe, in der man die Ästhetik der Bewegungsabläufe nach verfolgen kann, dazu gehört auch der immer sparsamere Dress der Tennisdamen, vor allem wenn eine Anna Kurnikova drin steckt. Bemerkenswert, wie in unserer Zeit, in der die Geschlechterdifferenzen so relativiert wurden bis zur (noch nicht ganz erreichten) Gleichberechtigung in Ausbildung, Beruf und sexueller Selbstverwirklichung, wie heute andererseits die Kunst in Ballett und Film, wie der Sport und die Werbung gerade die Geschlechterunterschiede wieder so stark betonen. Vielleicht läßt sich ja beides verbinden: "Vive la différence!", aber beide gleichberechtigt!
Das Empfinden und Genießen von Schönheit hat nach alledem auch etwas mit unserer Triebausstattung zu tun, auch die Hässlichkeit, die wir auf ungelernter Basis auch dann registrieren, ggf. mit Ekelgefühlen, wenn wir uns aus politischer Korrektheit genötigt fühlen, solche Spontanreaktionen etwa auf entstellende Erkrankungen zu unterdrücken oder zu beherrschen. Schönheit und Hässlichkeit sind Aspekte des uns umgebenden Seins, die unter Anleitung der Gefühle durch unsere Wahrnehmung erschlossen werden. Es ist doch ein Glück, dass wir Menschen nicht nur Hell und Dunkel (mit Grau dazwischen), sondern auch die bunten Farben wie blau, grün, gelb und rot und all ihre Übergänge unterscheiden können, auch das als Farbe imponierende reine Weiß und das satte Schwarz. Wir sind als wahrnehmende Menschen darauf eingerichtet, eine Figur von ihrem Hintergrund abzuheben, einzelne Formen in ihrer Klarheit und Prägnanz "herauszusehen" aus der Wirrnis der sonstigen visuellen Phänomene. Wir haben einen Sinn für oben und unten, vorn und hinten, links und rechts. Wir sehen nicht nur räumlich, sondern hören auch aus allen Richtungen, und wir hören nicht nur Geräusche, sondern auch Töne, über mehrere Oktaven ausgebreitet, mit eingängigen Harmonien und mit schreienden oder fremden Intervallen, mit "rhythm and blues", hörbar und tanzbar. Manchmal vergessen wir, dass Musik nicht primär etwas mit Musikinstrumenten zu tun hat, sondern schon im Gesang und Tanz begründet ist. Wir haben Sinn für Symmetrien und für ihre kleinen Abweichungen davon, für die Lebendigkeit des je Besonderen und Unverwechselbaren, aber auch für die Übersichtlichkeit und Durchsichtigkeit eines übergreifenden Ganzen.
Wahrgenommenes ist für uns nicht statisch: neben den spontanen Veränderungen dessen, was wir vor Augen (Ohren etc.) haben, gibt es in der Weiterverarbeitung des Erlebten auch so etwas wie traumhafte Bildverwandlungen, die uns im Nachttraum mehr geschehen als dass wir sie herbeiführen könnten. Aber seit jeher ist das Traumerleben eine der Quellen von Kunst, auch von großer Kunst gewesen, und gerade der blind gewordene Dichter J. L. Borges hat in seinen Geschichten viel Traumhaftes weiterverarbeitet. Der Traum läßt uns neue Sichtweisen finden, überrascht uns mit dem längst Vergangenen und noch nie bewusst geahnten Zukünftigen. Gerade die Schönheit hat nicht zuletzt auch etwas mit der Selbstorganisationsfähigkeit der Materie (in Kristallen, Wellen, Fraktalen etc.) und des Lebendigen zu tun, mit dessen Kugel- oder Röhrenform, mit Radialsymmetrie und Bilateralität (speziell der Tiere, die sich mit Rumpf und Extremitäten schnell fortbewegen können). Lebewesen sind in ihrer äußeren Erscheinung und in ihrem Vermögen, diese an Partnern wahrzunehmen, auf das Wiedererkennen der Artgleichen eingerichtet, insbesondere zur Ermöglichung einer sexuellen Reproduktion und vorweg schon zur Kontaktaufnahme und zur Selektion der "beliebteren" Sexualpartner, die zugleich die in ihrer Gesamt-Fitness überlegenen sein können. Schönheit hat aber auch zu tun mit Tarnung und Mimikry, mit schrillen Warnfarben, übertriebenen Schreckformen und -Haltungen, wobei manche Tiere, vermenschlichend gesagt, geradezu einen Kult der Hässlichkeit treiben können.
Bei dieser so weitreichenden Bedeutung von Schönheit und Hässlichkeit und bei der Rolle der gestaltenden Kunst für das Erleben und Zusammenleben der Menschen ist es nachvollziehbar, dass auch die Kunst zum höchsten, eigentlichen und wichtigsten Aspekt des Seins erklärt werden konnte oder sich als Gesamtkunstwerk selber als Allerhöchstes feierte. Aber da gibt es doch noch die anderen Bereiche, bei denen dieselbe Versuchung aufkommt, jeden von diesen Bereichen als den allerwichtigsten anzusehen. Das sollten wir nicht aus den Augen verlieren!
Bei der Aufzählung der 7 Wesentlichkeiten (subjektives Erleben, materielle Welt, Sprache und Zeichen, Handlungsziele und Normen, Gesellungen und Kumulierungen, Technik und Praxis, Schönheit und Kunst) war es mir wichtig, den einen oder anderen Bereich gegen die abschätzige Meinung zu verteidigen, er sei weniger interessant oder unbedeutend, als Thema der Philosophie überflüssig, nicht der besonderen Bemühung und "nicht des Schweißes der Edlen wert". Gerade dann könnte ich seine Wichtigkeit verteidigen und seine Bedeutsamkeit durch eine Art philosophischen Minderheitenschutz zu retten versuchen; dies andererseits nicht unbegrenzt bis in die letzten Aufspaltungen einer umfassenden Total-Klassifizierung. Denn so etwas wie die 5%-Klausel des Wahlrechts sollte auch hier gelten: es gibt auch Bereiche, die man mit gutem Gewissen erst mal vergessen könnte, jedenfalls was die nächsten 5 - 10 Jahre der Diskussion betrifft. Wenn einer davon doch bedeutsam werden sollte, wird man weiter sehen, dann könnte ja ein bisher von mir betonter Bereich in den Hintergrund rücken. So kamen und gingen ja auch die Götter! Von solchem möglichen Wandel unberührt bleibt es notwendig, auch die anscheinend weniger bedeutsamen Seinsbereiche weiterhin gelten zu lassen und fallweise gebührend zu beachten.
Umgekehrt sollten wir uns vorweg gegen jeden möglichen Anspruch stellen, einer (oder ein anderer) dieser Bereiche sei wichtiger, zentraler, für die anderen Bereiche fundierend, sie alle überkrönend, und er sei seinsmächtiger, geistiger, existenzieller, umfassender oder sonst wie "mehr" als die anderen Bereiche. Welcher Bereich sollte das schon sein? Wenn einem Bereich solch überragende Bedeutsamkeit zugeschrieben wird, dann fällt mir immer gleich ein anderer ein, der auch ein ganz guter Kandidat für solche Wesentlichkeit sein könnte. Aber will ich überhaupt danach suchen? Ich halte die zu solcher Suche motivierende Voraussetzung, es könne ein höchstes Wesentliches geben, für verfehlt. So geht es in dem von mir vertretenen Modell keineswegs um einen Schichtenaufbau der Wirklichkeit, wie er von Max Scheler und Nicolai Hartmann beschrieben wurde. In einem solchen wäre die monotheistische Hierarchisierung des Seins nur säkularisiert worden. Oben wäre dann nicht mehr Gott der Höchste, sondern statt seiner die "höheren" geistigen Vermögen des Menschen oder dieser selbst als die "höchste" Entwicklungsstufe des Lebendigen. Und unten, da bliebe das minder wertige, das Abgelehnte und Abgewehrte, das Verworfene, und unten links das, was nicht rechtens ist, und unten hinten bliebe das, was mit denen da vorn nicht mithalten kann!
Nach den 7 Wesentlichkeiten sollen nun doch noch zwei weitere Aspekte diskutiert werden. Was in der Aufzählung nur anklang, aber als eigenes Problemfeld noch fehlte, und mir sogar als ganz besonders bedeutsam erscheint, das ist der komplexe Zusammenhang der Wesentlichkeiten. Er sollte möglichst als anschauliche Ganzheit und in einfacher Sprache vermittelt werden können. Es soll schon vorweg betont werden, dass eine solche Ganzheit nicht als unhinterfragbare Voraussetzung verstanden werden sollte, etwa dass die Einheit des Seins schon dadurch gewährleistet sei, dass alles Sein, das unendliche All, auf den Schöpfer von allem, auf den Monotheos, zurückzuführen sei. Das würde der Intention des "contr'un" widersprechen. Ganz pluralistisch frage ich vielmehr, ob sich die verschiedenen Seinsweisen, deren jeweilige Eigenständigkeit nicht in Frage gestellt werden sollte, sich dennoch nachträglich aufeinander beziehen und zu einem Ganzen verbinden lassen. Es bleibt nämlich auch ohne den Glauben an Gott und als metaphysischer Kern des Philosophierens die Frage, wie sich die unterschiedlichen Seinsweisen als Aspekte eines gegliederten Ganzen verstehen lassen. Man könnte in dieser Fragestellung ein weiteres Relikt monotheistischer Einheitsansprüche erkennen, vergleichbar dem "Umgreifenden" nach Karl Jaspers, das alles umfassend doch noch in fataler Nähe zum allendlichen Schöpfer steht, und über dessen Wesen der ansonsten sehr klar formulierende Autor sich dementsprechend auch nur stammelnd äußern konnte, so als sei immer noch die Rede vom transzendent unfassbaren, nur in "negativer Theologie" aussagbaren Gott. Aber man braucht kein vage "Umgreifendes" oder "Umfassendes" und eben keinen Gott, um den Zusammenhang der vorfindbaren Diversität des Seins herzustellen.
Es ist übrigens kein bloß "geistiges" Bedürfnis, die offensichtlich diversen und heterogenen Phänomene dennoch in ihrem Zueinander und Miteinander und damit in ihrem Zusammenhang sehen zu wollen. Auch die Fähigkeit, dies zu tun, baut auf sehr alten, noch tierlichen Kompetenzen auf. Schon in der vormenschlichen Natur, also in Lebewesen, die - wie man meinen könnte - noch nicht "an Gott glauben", gibt es in ihrem Wahrnehmenkönnen eine "Tendenz zur guten Gestalt" und zur "Gestaltschließung" (W. Köhler und andere Gestaltpsychologen). Sie trägt insbesondere in den Wahrnehmungsprozessen der höheren Tiere zur Strukturierung und Integration der mit den Einzelsinnen aufgenommenen Details bei. Auch schon beim erst wenige Wochen alten menschlichen Säugling können die Einzelempfindungen verschiedener Sinne zusammenfinden und zur Wahrnehmung ein und desselben "Objekts", in der Regel der eigenen Mutter, beitragen: das Baby spürt seine Mutter als wohlige Wärme, riecht sie als vertrauten Duft, schmeckt sie als gute Milch, und darüber hinaus kann es die Mutter als ein und dieselbe ganze Person zugleich tasten, hören und sehen (siehe Martin Dornes, Der kompetente Säugling). Was in Ansätzen schon höhere Tiere können, und was erwiesenermaßen schon ein Menschen-Baby kann, das kann dieses Baby im Verlauf der Wochen und Monate seiner frühkindlichen Entwicklung immer differenzierter leisten und durch Lern- und Einsichtsprozesse noch weiter ausbauen. Dann kann es die mit seinen Sinnen als Ganzes "personhaft" wahrgenommene Mutter auch in ihren sprachlichen Äußerungen immer besser verstehen und sogar ihren Namen (z.B. "nana", "baba" oder auch schon "Mama"!) "wissen" und selber aussprechen, eine weitere Stufe der Integration wahrgenommener Details. In Fortsetzung dieser Entwicklungsschritte sollten wir, die wir nicht nur phylo- und ontogenetisch, sondern auch in unserer kulturellen Entwicklung einsichtiger und "erwachsener" geworden sind, uns erst recht Derartiges zugestehen und es bewusst praktizieren: Unter Anleitung durch den gestaltbildenden ("schauenden") Blick und durch die integrierende Vernunft sollten wir versuchen, das mit allen Sinnen Perzipierbare und mit der Sprache Ausdrückbare zu einem Ganzen zusammenfinden zu lassen. Erst wenn das in unserer Welt Unterscheidbare in den vielfältigen Beziehungen des einen zum anderen in Zusammenhang gebracht und so weit wie möglich gedanklich integriert worden ist, kommt so etwas wie "ein Ganzes des Seins" in den Blick des schauenden Menschen, wird von ihm als "Sinnzusammenhang" denkend erfahrbar.
Dieses Ganze ist schon immer von den Mythen und Religionen der Völker angezielt worden. Sie haben die Zusammenhänge in einprägsamen Bildern wiederzugeben versucht, beispielsweise ganz anschaulich als Götterhimmel über der Menschen-Erde und unter dieser die Unterwelt der Toten und der Geister. All dies verstanden die Griechen als Kosmos, in manchen Mythen anderer Völker mit einem Weltenanfang und Weltenende, ggf. mit einem Schöpfer und seinem alles wieder verderbenden und zerstörenden Gegenspieler (wir nennen ihn Teufel), aber auch mit den mehr anonymen Mächten des Schicksals und der Notwendigkeit, dazu noch viele andere Gestalten und noch mehr Namen, die sie von den Menschen bekommen haben.
Dem gleichen Ganzen näherten sich Philosophen in der Bildung von immer allgemeineren Begriffen, die zunächst die erfahrbaren Phänomene des Seins nach ihrer Ähnlichkeit zusammenfassten, darüber hinaus zum Unterscheiden und Erkennen relativ unabhängiger Wesentlichkeiten beitrugen und schließlich in so abstrakten Ideen gipfelten wie denen des Seins, des Seienden, des All, und eben auch: des Ganzen. Solche Verallgemeinerung durfte nicht simplifizierend sein, sie musste die Komplexität des Seins in sich aufnehmen und in sich verarbeiten können. Es waren somit zwei Tendenzen miteinander zu verbinden: einerseits die Bereitschaft zur Unterscheidung und zum Geltenlassen der je voneinander relativ unabhängigen Seinsbereiche (z.B. der 7 Wesentlichkeiten), und andererseits die Erwartung, dass die so verschiedenartigen Einzelheiten dennoch in ein Ganzes zusammenfinden, unterstützt durch das eigene Bemühen, dies aktiv herbeizuführen. Dabei war zu vermeiden, dass das Ganze über seine Einzelaspekte in einer Weise dominiert, dass sie ihre Eigenständigkeit und Besonderheit verlieren würden. Das Ganze sollte eben nicht ein Ganzes "über Allem" sein, wie etwa Gott, sondern ein Ganzes aus Allem!
Eine philosophische Globaltheorie ist notwendigerweise zunächst viel abstrakter als ein religiöser Mythos, und immer noch merklich abstrakter als die Unterscheidung der 7 Wesentlichkeiten. Das bedeutet aber nicht, dass solche Theorie dadurch unverständlich werden müsste. Denn zusammenfassend könnte man auch mit den Worten unserer Alltagssprache sagen, dass es dem Philosophen um das Erkennen und auch Gestalten der Wesentlichkeiten im Ganzen geht. Das sollte doch verstanden werden können! In diesem Sinne sind Religionen und Philosophien auf "Metaphysik" hin orientiert: sie fragen nach dem, was die Verschiedenheiten miteinander zum Ganzen verbindet. Ich sehe daher die Philosophien und die Religionen gar nicht als einander ausschließende Gegensätze, sondern als in einem engen Ergänzungsverhältnis zueinander stehend. Beiden geht es um das Ganze des Seins, in beiden ist die besondere und sogar zentrale Stellung des Menschen in diesem Ganzen thematisiert. Beide, der metaphysische Kern der Philosophie und der meist in Göttern (oder Gott) konzentrierte Kern der Religionen, schließen die Diversität des Seins zu einem Ganzen zusammen, wenn auch in je unterschiedlicher Weise: in der Philosophie auf dem Weg vom Verschiedenen zum Ganzen, von den Phänomenen zu immer abstrakteren Verallgemeinerungen fortschreitend, in trocken-begrifflichen Kurzformeln und teilweise schon mathematischer Sprache wiedergegeben; in einer monotheistischen Religion dagegen vom Schöpfer ausgehend zur unendlichen Vielfalt des Geschaffenen hin, das Geglaubte anschaulich in sinnträchtigen Bildern auffassend und darstellend.