3.2.6. Albert Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie in kritischer Sicht

Albert Einstein (1879 - 1955), der wohl einflussreichste Theoretiker der Physik des vergangenen Jahrhunderts, korrigierte mit seiner Allgemeinen Relativitätstheorie zwar das Newtonsche Gravitationsgesetz in bestimmten Grenzfällen, in denen relativistische Effekte zu vermuten waren, aber er griff, ebenso wie damals Newton, die Frage nach der Ursache der so differenziert beschriebenen Gravitationswirkungen gar nicht mehr auf. Das muss wohl als Mangel seiner Theorie angesehen werden. Ich werde daher im folgenden einige kritische Bemerkungen zu seiner Allgemeinen Relativitätstheorie vorbringen, mit der er versucht hatte, eine über Newtons Ansätze hinausführende neue Theorie der Gravitation zu formulieren. Meine Einwände sollten aber gewiss nicht als Gesamtkritik an Einsteins Beiträgen zur modernen Physik oder an seiner Person missverstanden werden. Die meisten seiner Kritiker wissen zu würdigen, und ich schließe mich dem an, dass Einstein auch außerhalb der Relativitätstheorien zu bedeutsamen Erkenntnisfortschritten der Physik beigetragen hat und dass er schon dafür den Nobelpreis der Physik verdient hat. Der hohe Rang seiner wissenschaftlichen Gesamtleistung soll daher nicht bezweifelt werden, bei aller im Einzelnen berechtigten Kritik, die sich auch weniger gegen die mathematische Formalisierung der betreffenden Theorie, sondern mehr gegen deren inhaltliche Interpretation richtet.

Man könnte meinen, dass die seit Jahrhunderten diskutierte Unterscheidung zwischen Anziehungskräften und Stoßkräften völlig an Bedeutung verloren hat, seit Albert Einstein (1879 - 1955) mit seiner Allgemeinen Relativitätstheorie (1915) die Formalisierung und Geometrisierung der Newtonschen Gravitationstheorie noch weiter getrieben hat. Ohne die bloß mathematisch beschreibenden und keineswegs physikalisch erklärenden Gravitationsgesetze Newtons in ihrer üblichen Geltung aufzuheben, hat Einstein sie in weitere Zusammenhänge gestellt, nach denen die Gravitation eines Massenkörpers als Position oder Bewegung in einer "gekrümmten" Raum-Zeit zu verstehen sei. Somit wären die metrischen Eigenschaften der Raumzeit die eigentlich bewirkende Ursache für die Gravitation, oder noch nicht einmal das. Sie dienen nur zur Beschreibung gravitativ bedingter Bewegungen. Weder von Anziehung noch von Stoß ist hier noch die Rede. Das erschwerte allerdings, diese abstrakte Theorie, deren mathematisch-geometrischer Inhalt als solcher sehr wohl nachvollziehbar war, in einem auf Reales bezogenen Sinne zu verstehen und zur physikalischen Erklärung der Bewegungen und Interaktionen physischer Körper zu nutzen.

Nach K. Simonyi (S. 417) begann der Weg zur Allgemeinen Relativitätstheorie nicht in der Physik, sondern in der Mathematik, und zwar in der Geometrie (ein Wort, das ursprünglich "Erdvermessung" bedeutete). Der deutsche Mathematiker, Physiker und Astronom Carl Friedrich Gauß (1777 - 1855) wurde durch praktische Vermessungsarbeiten zu Überlegungen angeregt, die er 1827 in seiner Arbeit "Disquisitiones circa superficies curves" veröffentlichte. Er hatte herausgefunden, dass die Krümmung einer in den dreidimensionalen Euklidischen Raum eingebetteten Fläche mit Hilfe von Messungen festgestellt werden kann, die ausschließlich in der gekrümmten Fläche selbst ausgeführt wurden.

Die Ansätze von Gauß wurden von dem deutschen Mathematiker G. F. Bernhard Riemann (1826 - 1866) weitergeführt bis zur Verallgemeinerung auf einen Raum beliebiger Dimensionenzahl. Das legte die Frage nahe, ob die Euklidische Geometrie (gerade diese dreidimensionale und keine andere) in der uns umgebenden Natur realisiert sei. Das Problem des Verhältnisses zwischen Geometrie und physikalischer Realität ließ weiterhin den Gedanken aufkommen, dass nur durch empirische Messungen zu entscheiden sei, ob die Axiome dieser Geometrie für irdische Verhältnisse zutreffen. Dazu B. Riemann (Über die Hypothesen, welche der Geometrie zu Grunde liegen. Teubner, Leipzig, 1854): "Es muss also ... der Grund der Maßverhältnisse außerhalb, in darauf (= auf das dem Raume zugrunde liegende Wirkliche) wirkenden bindenden Kräften, gesucht werden ... Es führt dies hinüber in das Gebiet einer ganz anderen Wissenschaft, in das Gebiet der Physik" (zitiert nach K. Simonyi, S 420).

Der englische Mathematiker und Philosoph W. K. Clifford (1845 - 1879), der Riemanns Buch ins Englische übersetzt hatte, führte dessen Gedanken noch weiter (On The Space Theory of Matter. Proc. Camb. Phil. Soc. 1876, p. 157 f.): "Riemann hat gezeigt, dass es verschiedene Arten von dreidimensionalen Räumen geben kann, ebenso wie verschiedene Arten von Linien und Flächen existieren, und dass wir nur durch Experimentieren darüber entscheiden können, zu welcher Art jener Raum gehört, in dem wir leben ... Ich möchte hier eine Methode angeben, wie diese Spekulationen auf die Untersuchung physikalischer Vorgänge angewendet werden könnten. Ich behaupte nämlich,

  1. dass ... die gewöhnlichen Gesetze der (Euklidischen) Geometrie (in den kleinen Gebieten des Raumes) nicht mehr gültig sind;

  2. dass die Eigenschaft (des Raumes), gekrümmt oder deformiert zu sein, sich wellenartig von einem Raumteil zum anderen fortpflanzt;

  3. dass diese Änderung der Krümmung des Raumes das ist, was sich tatsächlich ereignet in dem Vorgang, den wir die Bewegung der Materie nennen, gleichgültig ob es sich um ponderable (= schwerefähige) oder um ätheriale (= Wellenausbreitung ermöglichende) Materie handelt" (zitiert nach K. Simonyi, S. 421).

Es wird in diesen Behauptungen klar, dass Clifford in der Weise, wie er die "wellenartige Fortpflanzung einer Raumkrümmung" und eine "ätheriale Materie" annimmt, im Grunde ganz in der Vorstellungswelt der Äthertheorien seiner Zeit argumentiert, noch bevor es durch astronomische Untersuchungen als erwiesen galt, dass es keinen Äther gibt, innerhalb dessen die Himmelskörper sich bewegen und über den die Lichtwellen vermittelt werden. Gleichermaßen deutlich wird aber auch, dass Clifford auf dieser unsicheren Basis schon vor 1876, also an die 40 Jahre vor Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie (1915), deren wesentliche Aspekte kurz und bündig formuliert hatte.

Nach Simonyi (S. 409) hat der russische Physiker D. D. Iwanenko nachdrücklich darauf hingewiesen, dass der französische Mathematiker, Physiker und Philosoph Jules Henri Poincaré (1854 - 1912) wohl der erste war (offenbar noch vor Einstein), der die Relativitätstheorie auf die Probleme der Gravitation angewendet hat, und Simonyi ergänzt noch, dass der deutsche Mathematiker David Hilbert (1862 - 1943) praktisch gleichzeitig mit Einstein eine mit dessen Gravitationsgleichung übereinstimmende Formel vorgetragen hatte. Solche Feststellungen relativieren etwas die von K. Simonyi an anderer Stelle (S. 389) geäußerte Meinung, die Allgemeine Relativitätstheorie sei "vielleicht das einzige Gedankengebäude, das nach der allgemeinen Auffassung ohne Einstein nicht zustande gekommen wäre". Vielmehr gilt wohl auch für diese Theorie, was Simonyi im vorausgehenden Satz betont, "daß der Erkenntnisprozess die kollektiven Bemühungen vieler erfordert und dass dann geniale Forscher die Ergebnisse dieser Bemühungen aufgreifen und ihnen eine Form geben".

Diese Prioritätsfragen haben in der Tat etwas damit zu tun, dass sich in solchen Fällen mehrfach Einsteins schnelle Auffassungsgabe und seine Fähigkeit bewährt hatte, neue Theorien auch zügig zur Veröffentlichung zu bringen. Poincaré hat dies 1911 in einem Empfehlungsschreiben in glänzender Diktion zum Ausdruck gebracht: "Einstein ist einer der originalsten Köpfe, die ich je gekannt habe; trotz seines jugendlichen Alters errang er eine ehrwürdige Position unter den besten Wissenschaftlern unserer Zeit. Was an ihm am meisten zu bewundern ist, ist die Leichtigkeit, mit der er sich neue Ideen aneignen und alle ihre Folgerungen zutage bringen kann" (Seelig, C.: Albert Einstein. A Documentary Biography. Staples, London 1956; zitiert nach K. Simonyi, S. 407). Ich kommentiere: So kann man es auch ausdrücken!

Diese Relativierungen sind allerdings nebensächlich gegenüber den inhaltlichen Bedenken, die gegenüber der Allgemeinen Gravitationstheorie (AR) vorzubringen sind. Das betrifft auch, obgleich nicht wirklich erheblich, den Erklärungswert dieser Theorie für Laien. Simonyi weist darauf hin, dass manche Ansätze der Einsteinschen Allgemeinen Relativitätstheorie schwerverständlich waren: " Die allgemeine Relativitätstheorie stellt mit ihrer Synthese (H. Sch.: wohl eher Konfundierung!) von Physik und Geometrie unsere Vorstellungskraft vor eine schwere Aufgabe" (S. 471), und wenig später: "Gekrümmte vieldimensionale Räume, Teilchen, die uns einmal als punktförmig, ein anderes Mal als ausgedehntes Wellengebilde erscheinen - ja, wie konnte man alle diese Dinge begreifen?" Ich frage da noch weiter: Aber muss man denn das begreifen können? Muss man zum Erklären der unstrittigen bzw. der noch unsicheren Befunde notwendigerweise die theoretischen Voraussetzungen der AR akzeptieren, oder gibt es vielleicht plausiblere Ansätze, die dasselbe und noch mehr leisten können? Eben an diesem Kriterium muss sich erweisen, ob eine korpuskuläre Gravitationstheorie nicht nur plausibler ist, sondern sehr schwierige Sachprobleme zugleich erfolgreicher und einfacher zu erklären erlaubt, ähnlich wie die von Kepler verbesserte Erklärung des Kopernikus erfolgreicher und einfacher war als die des Ptolemäus.

Insbesondere der "gekrümmte Raum" lässt nicht nur Laien, sondern sogar Fachleute an die Grenzen ihrer Verstehensfähigkeit und -bereitschaft geraten. So fragt der Astrophysiker Halton Arp (Max-Plack-Institut für Astrophysik in München-Garching) in seinem Vorwort zu dem Reader "Pushing Gravity" mit gewisser Häme: "Ist die Raumzeit-Krümmung theoretisch stichhaltig (valid)? An diesem Punkt hätten Wissenschaftler und Nicht-Wissenschaftler schon lange die grundsätzlichen Fragen stellen müssen: bei welcher akzeptablen Definition des Raumes auch immer, wie kann man ihn 'krümmen'? (Wenn Sie Schwierigkeiten haben, sich einen gekrümmten Raum vorzustellen, versuchen Sie es doch mal mit einer gekrümmten Zeit!) Eine gekrümmte Raumzeit scheint ein Oxymoron zu sein (H Sch.: eine Zusammenstellung zweier sich widersprechender Begriffe)!" (PG 2). Halton Arp findet auch für andere Aspekte moderner Physik und Kosmologie nur Worte des Spotts, spricht vom "Zelebrieren" der Feldgleichungen der AR (PG 1), von "Evangelisten" des Big Bang (PG 2), vom "Schibboleth" der Lichtgeschwindigkeit als Höchstgeschwindigkeit (PG 4), von der "geheiligten" Relativitätstheorie, die kein primäres Bezugssystem kenne (PG 5). Schließlich (PG 7) äußert er die Meinung, dass ein Großteil des Fortschritts, den unabhängige Forscher in den letzten Jahrzehnten erreicht hatten, darin bestanden hätte, sich frei zu machen von solchen "Dogmen", und eben auch vom "Dogma" der gekrümmten Raumzeit. Ernster und sachlicher geht in dem gleichen Buch Tom Van Flandern mit Einsteins AR um: In dieser geometrischen Interpretation der Schwere krümme eine Masse die Raum-Zeit um sich herum und bewirke, dass andere Körper dieser Krümmung folgen, statt weiterhin sich geradlinig fortzubewegen. Aber wie erfolgreich auch immer diese geometrische Interpretation als mathematisches Modell gewesen sein mag, ihr fehle ein physikalischer Mechanismus, durch den die Bewegung kausal bewirkt werde (PG 94).

Der Kern der Bedenken gegen die AR besteht meines Erachtens darin, dass nicht nur anfangs bei Clifford, sondern auch weiterhin bei Einstein "dem Raum" Eigenschaften zugeschrieben werden, die zuvor als solche des Äthers verstanden worden waren: nämlich eine gewisse Materialität, z. B. eine Verformbarkeit durch Materie (durch baryonische Korpuskeln und Körper), und eine Einflussmöglichkeit auf Materie (etwa auf die Bahnen von Korpuskeln und Himmelskörpern). Hinzu kommt eine Eignung "des Raumes" als Medium zur Fortpflanzung von Wellen, was deutlich über die unbestreitbare Widerstandslosigkeit des totalen Vakuums gegenüber Bewegungen von Korpuskeln hinausgeht. "Der Raum" gewinnt auf diese Weise eine Eigenstruktur, eine eigene Existenz (vergleichbar der des "Äthers"!), die vor, neben und nach den Strukturen der Materie auf eigentümliche Weise wirkmächtig ist. So könnte man sagen, dass Einstein nicht nur, wie oft hervorgehoben wird, physikalische Vorgänge geometrisiert hat, sondern er hat im gleichen Zuge den Raum materialisiert, zu etwas Dinglichem gemacht.

Dies wird auch deutlich in der Charakterisierung der AR durch Simonyi (S. 419): "Die neue Theorie (der Gravitation) baut auf der Grundgleichung der allgemeinen Relativitätstheorie auf, der entsprechend die Materie die Geometrie des Raumes festlegt". In der AR sei die Gravitationskraft als Kraft im üblichen Sinne eliminiert worden. "Offensichtlich hat hier die Krümmung des Raumes die Rolle der Gravitationskraft zu übernehmen. Ein sich frei bewegender Probekörper führt in einem Raum, der durch eine andere Masse 'gekrümmt' ist, eine 'geradlinige' Bewegung (auf einer geodätischen Linie) aus".

Albert Einstein hat in seiner Abhandlung "Mein Weltbild" (Ullstein, Frankfurt/M., 1959, S. 143 - 147) zu solchen Fragen Stellung genommen, und ich gebe daraus die Stellen wieder, in denen er sich selber ausdrücklich auf den Äther oder auf einen so verstandenen "Raum" bezieht: "Dunkel waren zunächst die mechanischen Eigenschaften des Äthers. Da kam H. A. Lorentz' große Erkenntnis ... Der Äther sitzt fest am Raum, d.h. er kann sich überhaupt nicht bewegen ... Man kann heute seine Erkenntnis so aussprechen: Physikalischer Raum und Äther sind nur verschiedene Ausdrücke für ein und dieselbe Sache. Felder sind physikalische Zustände des Raumes ... (Den Physikern) galt nach wie vor der Raum als ein starres, homogenes Etwas, das keiner Veränderung bzw. (keiner) Zustände fähig war. Nur Riemanns Genie, unverstanden und einsam, rang sich schon um die Mitte des vorigen Jahrhunderts zur Auffassung eines neuen Raumbegriffs durch, nach welchem dem Raum seine Starrheit abgesprochen und seine Anteilnahme am physikalischen Geschehen als möglich erkannt wurde ... Nun kam die spezielle Relativitätstheorie ... Der vierdimensionale Raum (H. Sch.: gemeint ist wohl die vierdimensionale Raum-Zeit) der speziellen Relativitätstheorie ist ebenso starr und absolut wie der Raum Newtons" (zitiert nach K. Simonyi, S. 420). Ich finde es sehr bemerkenswert, wie sehr hier die im Stil etwas pathetische Argumentation von Einstein noch auf die theoretische Annahme oder jedenfalls implizite Vorstellung eines längst nicht mehr diskussionswürdigen Äthers bezogen blieb!

Einstein geht dann enger auf seine Allgemeine Gravitationstheorie ein: "Da das Gravitationsfeld durch die Konfiguration von Massen bestimmt ist und mit diesem (H. Sch.: mit dieser oder mit diesen?) wechselt, so ist auch die geometrische Struktur dieses Raumes von physikalischen Faktoren abhängig ...(gemäß dieser Theorie) hängt die Struktur des Raumes von physikalischen Einflüssen ab. Das Problem der Gravitation war so auf ein mathematisches Problem reduziert: Es sollen die einfachsten Bedingungsgleichungen gesucht werden, die beliebigen Koordinatentransformationen gegenüber invariant sind ... Die Gravitation war zwar auf die Raumstruktur zurückgeführt, aber es gibt doch außer dem Gravitationsfeld noch das elektromagnetische Feld ... Es war aber für den theoretischen Geist der Gedanke unerträglich, dass es zwei voneinander unabhängige Strukturen des Raumes gäbe, nämlich die metrisch-gravitationelle und die elektromagnetische. Es drängt sich die Überlegung auf, dass beide Feldarten einer einheitlichen Struktur des Raumes entsprechen müssten" (Ende des Zitats aus A. Einstein: Mein Weltbild, zitiert nach Simonyi, S. 422). Damit hatte Einstein selber ein Hauptargument gegen seine AR vorgebracht, da ein so verdinglichter Raum mit der gleichzeitigen Übertragung von Gravitations- und elektromagnetischen (und vielleicht noch anderen) Kräften völlig überfordert war. Ich räume sofort ein, dass auch ich hier in eine gleichermaßen verdinglichende und sogar anthropomorphisierende Sprechweise hineingeraten bin, denn man sollte dem leeren Raum weder Eigenschaften noch Funktionen zuschreiben, wie ich in einem späteren Kapitel ausführlicher begründen werde.

Trotz seiner im zitierten Absatz anklingenden Bedenken hat Einstein zeitlebens nicht davon abgelassen, auf der Grundlage einer solchen Quasi-Materialisierung des Raumes nach einer Weltformel zu suchen, die nicht nur die Gravitation und den Elektromagnetismus, sondern alle bis dahin bekannten Grundkräfte umfassen sollte. George Gamov (1908 - 1968), ein US-amerikanischer Physiker russischer Herkunft, hat in seiner "Biography of Physics" (1961, S. 207/208) Einsteins Bemühungen um die Weltformel anschaulich geschildert (zitiert nach Simonyi, S. 425): "Einstein arbeitete fast vier Jahrzehnte hindurch, ganz bis zu seinem Tode im Jahre 1955, an der sogenannten "einheitlichen Feldtheorie", d.h. an einer Theorie, welche das elektromagnetische Feld und das Schwerefeld auf einer gemeinsamen geometrischen Grundlage zu vereinheitlichen berufen wäre. Mit den Jahren erwies sich aber der Versuch als immer hoffnungsloser. Jedes Mal, wenn Einstein neue Formeln herausbrachte, mit dem Anspruch, mit diesen das Rätsel der einheitlichen Theorie zu lösen, wurden komplizierte Tensorausdrücke auf der ersten Seite der New York Times und anderer Zeitungen in der ganzen Welt veröffentlicht. Es hat sich aber immer wieder herausgestellt, dass die angegebenen Formeln unfähig sind, den Erwartungen zu entsprechen; dann war es still bis zur nächsten Offenbarung. Die theoretischen Physiker, alte und junge, haben allmählich kein Vertrauen mehr in die Möglichkeit, dass das elektromagnetische Feld rein geometrisch interpretierbar sei ...Wenn eine reine geometrische Interpretation des elektromagnetischen Feldes möglich wäre, so müssten wir auch die Mesonen-Felder, Hyperonen-Felder und andere neue Felder dieser Interpretation unterwerfen, um behaupten zu können: Physik ist nichts anderes als Geometrie. Einstein selbst wurde immer empfindlicher, wenn von seiner These die Rede war, und war immer weniger gewillt, diese Probleme mit anderen Physikern zu diskutieren. Er hat während seines Besuches in Großbritannien zu Beginn der 30er Jahre einen Vortrag gehalten über die einheitliche Feldtheorie. Aber es war in einer Mädchenschule in Nordengland; die schwarze Schultafel, vollgeschrieben mit komplizierten Tensorformeln, wurde von den Schulbehörden aufbewahrt. Hingegen lehnte er es ab, in Cambridge zu sprechen".

Statt auf Grund solcher Erfahrungen den eigenen theoretischen Ansatz zu überprüfen und vielleicht in Frage zu stellen, gingen Anhänger der Einsteinschen Auffassungen zu einer unglücklichen Vorwärtsverteidigung über. In einer Verabsolutierung der Relativität konnten sie so weit gehen, zu behaupten, jeder Beobachter könne sich berechtigt fühlen, seine Beschreibung als richtig bzw. als jeder anderen gleichberechtigt zu betrachten. So könne z.B. ein irdischer Beobachter die Bewegung der Himmelskörper wie die der Sonne und der Planeten richtig (?!) darstellen, auch wenn er die ruhende Erde als Bezugssystem wähle (nach Simonyi, S. 423): "In ihrem Werk The Evolution of Physics drückten Einstein und Infeld diese Tatsache in prägnanter Form aus: Der alte Streit zwischen Kopernikus und Ptolemäus zerfällt in nichts, da beide recht haben". Ich will hoffen, dass nicht Einstein, sondern Infeld für diese abenteuerliche Bemerkung verantwortlich ist. Denn sie ist wirklich schon albern, und wenn man sie ernst nehmen würde, wäre sie eine glaubensapologetische Bankrotterklärung der Wissenschaft. So etwas sollte man nicht einmal - mit einem breiten Grinsen und um den Kontrahenten auf die Schippe zu nehmen - in einer Diskussion vorbringen; schreiben darf man es erst recht nicht. Im Anschluss an die Wiedergabe der Spekulation von Einstein und Infeld schreibt Simonyi (S. 424): "Wir möchten uns ... zu den Hoffnungen vieler Laien, aber auch mancher Physiker äußern, einmal doch noch zur alten, dem "gesunden Menschenverstand" entsprechenden Betrachtungsweise zurückzukehren. Diese Hoffnungen sind aber eitel". Ich bin da nicht so skeptisch, schlage aber eine leichte Korrektur vor: nicht der "gesunde Menschenverstand", der sich ja schon in vielem geirrt hat, sondern eine wirklichkeitsbezogene und rational argumentierende Physik sollte uns davor bewahren, die wildesten Äther-Spekulationen und eine Relativierung des schon Erwiesenen bis zur Nicht-Erkenntnis weiterhin als unbestreitbar letzte Wahrheit anerkennen zu müssen.

Ich will im Folgenden versuchen, diejenige Kritik an der Einsteinschen AR, die mir nach gründlicher Überprüfung als berechtigt oder vertretbar erscheint, selber ernsthaft und mit Sachargumenten zu begründen. Zunächst aber kann ich festhalten, dass sowohl Newton als auch Einstein die Frage nach dem, wovon die Gravitation eigentlich bewirkt wird, unbeantwortet gelassen haben. Sie konnten zwar gravitative Vorgänge mathematisch nahezu perfekt beschreiben, Einstein bei Phänomenen, in denen sehr hohe (Licht-)Geschwindigkeiten zu berücksichtigen sind, anscheinend noch genauer als Newton, aber worauf die Geltung ihrer Gravitationsgesetze eigentlich beruht, in welcher physikalischen Realität sie begründet sind, haben beide Forscher nicht erklärt, offenbar weil sie es vermieden haben, diese Frage zu stellen. Trotz solcher Kritik im Grundsätzlichen will ich dennoch versuchen, mich mit einzelnen Details dieser Theorien noch etwas näher zu befassen. Ich stütze mich dabei vor allem auf die Beiträge von Autoren aus dem Sonderheft "Gravitation" von "Sterne und Weltraum" (G). Dass ich vor allem die Schwachstellen dieser Theorien kritisch untersuche und betone, sollte nach dem schon Diskutierten nicht verwundern.