9.2.8. Murauer, Michael: Curioso, Sapientia und ihr Fiat Lux. Eine Geschichte in der Bilderwelt der Philosophen. Books on demand, Norderstedt, 2005.

Mir ist die Besprechung dieses Buches nicht eben leicht gefallen. Ich habe es als Rezensent natürlich sehr aufmerksam gelesen, vom Anfang bis zum Ende und viele Passagen mehrmals. Aber der erste negative Eindruck kam schon beim Titel auf. Wen will Murauer damit ansprechen, zum Kauf und zum Lesen ermuntern? Zwar können Lateinkundige (es sind nicht mehr viele) in einem Curioso den Neugierigen erkennen (der nämlich nicht bloß „kurios“, also etwa seltsam oder sonderbar sein muss), in der Sapientia die Weisheit (und nicht irgendetwas Seifiges), im Fiat Lux das „Es werde Licht“ der Genesis und später der Aufklärung (und nicht die Konkurrenz zum VW Lupo!). Ohne solche Vorkenntnisse könnte ein prospektiver Leser den Titel eher als abschreckend denn als informativ empfinden. Auch der Untertitel lädt nicht gerade zum Lesen dieses Buches ein, denn was soll man unter einer „Bilderwelt“ der Philosophen verstehen? Ein sachlich angemessenerer Titel wäre: “Worüber Philosophen und Laien miteinander diskutieren, wenn der Tag lang ist“ (und wenn beim abendlichen geselligen Beisammensein nach der Vortragsreihe kein Diskussionsleiter Georg Batz - alias Georg Denk - mehr eingreift und eine größere Disziplin beim Diskutieren anmahnt!).

Eine Neuauflage des Buches mit neuem Titel (Gott und die chinesische Teekanne oder Diogenes wusch seinen Kohl. ISBN 3-8334-5128-9) hat einige der kritikwürdigen Passagen der ersten Auflage deutlich verbessert. Solch prompte Reaktion auf Kritik ist ehrenwert! Die Rezension bezieht sich aber noch auf die erste Auflage. Sorry!

Ganz sachlich betrachtet besteht das Buch aus einem über Strecken recht launig dahin plaudernden Rahmentext und einer darin eingebetteten ernsthaften Sammlung von Zitaten und persönlichen Meinungsäußerungen vorwiegend philosophischen Inhalts. Mit diesem Ansatz hat der Autor riskiert, ein bleibendes Spannungsmoment einzubauen, und zwar auf eine Weise, die mich nicht ganz überzeugen konnte. Einerseits ist die wohlmeinend aufklärerische Intention des Autors hervorzuheben, andererseits können handwerkliche Mängel der Umsetzung nicht unerwähnt bleiben. Kürzer: gut gemeint ist nicht schon gut gelungen.
Beginnen wir mit der Rahmenhandlung des Buches. In ihr wird geschildert, wie ein schon älteres, aber geistig sehr reges Ehepaar, Thomas („der Ungläubige“ aus dem Neuen Testament?) mit dem Spitznamen Curioso (der Neugierige) und seine Frau Klara („die Helle und Leuchtende“) alias Sapientia (die Weisheit) mit ihrem Neffen Manfred (M wie Michael Murauer) in einem Cabriolet Fiat Lux philosophierend in Europa unterwegs sind. Diese drei Protagonisten sind wohl allesamt Personifikationen des Autors, quasi drei (später vier) Seelen, ach, in seiner Brust. Wenn Onkel und Tante ihren oft etwas einfältig fragenden, aber durchaus lernbereiten Neffen ganz beiläufig über Philosophie aufklären, so klingt das, in Alltagsverrichtungen und –gespräche eingebettet, manchmal recht hochgestochen, wie das Vorlesen geschriebener Texte, mit zwar oft wirklich klugen Gedanken, aber weit entfernt von lebendiger Rede. In dieser Situation ist ihr etwas begriffsstutziger Neffe manchmal ziemlich überfordert: „Ich versteh’ allmählich überhaupt nichts mehr“ (S.16), ... „Hab’ ich nicht ganz kapiert“ (S.27), ... „Ich glaube, ihr wollt mich auf den Arm nehmen“ (S. 31), ... „Ist mir noch nicht aufgefallen“ (S.41), was Onkel und Tante genügend motiviert, ihrem Neffen mit weiteren eigenen Meinungsäußerungen und längeren Zitaten über Gott und die Welt auf die Sprünge zu helfen. Sie erlauben sich dabei einige Freiheiten des Assoziierens: „Tante Sapientia und Onkel Curioso waren ein ganz munteres Ehepaar, auch wenn ihre Diskussionen nicht immer hart am Thema blieben, sondern oftmals von allen möglichen eigenartigen Assoziationen in die überraschendsten Richtungen getrieben wurden“ (S.10). Wohl wahr! Nach allen Abschweifungen und Selbstunterbrechungen der Beiden besteht Manfred dann darauf, eine zuvor von ihnen angekündigte Geschichte nun doch noch vom Anfang bis zum Ende hören zu wollen, und dann kommt, frei nach Heinz Erhardt: „noch’n Zitat!“, manchmal mit Floskeln wie „Übrigens, ...“ eingeleitet. Obwohl Murauer sein Buch in deutlich voneinander abgehobene Kapitel gegliedert hat, kommt er doch oft „vom Hölzken aufs Stöcksken“, und ertappt sich selber immer wieder dabei, oder kokettiert sogar damit.
Das Buch erinnert einen Vater von aufgeweckten Leseratten schon von Anfang an ganz fatal an „Sophies Welt“ von Jostein Gaarder und an ähnliche Popularisierungen von Philosophie für jugendliche Leser bzw. kindliche Gemüter von Erwachsenen. Aber es dauert bis zum 6. von 10 Kapiteln des Buches (S.106 -124), für einen ausdauernden Rezensenten noch rechtzeitig, dass Murauer selber die schon lange vernehmbar miauende Katze aus dem Sack lässt und endlich diesen Verdacht bestätigt. Was man schon auf den ersten Seiten vermuten konnte, wird dann vom Autor mit den Worten des fiktiven Onkel Curioso entwaffnend offen eingestanden. Auf die Frage des französischen Verlegers Michel „Was ist denn jetzt mit Deinem neuen Buch, Curioso?“ (S. 109 u.), antwortet dieser ganz offen: „Weißt Du, da ist doch dieser philosophische Bestseller aus Norwegen erschienen, dieser ‚Roman’ über die Geschichte der Philosophie, ‚Sophies Welt’ heißt er.....Ich habe mir gedacht, sieh mal an, mit einem solchen Thema kann man so viele Menschen erreichen, vielleicht solltest du doch noch einmal ein Buch schreiben, etwas leichter lesbar, populärer, amüsanter, ein Buch, das die Leute gerne in Urlaub mitnehmen, bei dem ich Spaß am Schreiben habe und von dem der Leser trotzdem profitieren kann“ (S.110). Dem Spaß soll wohl vor allem die schon angesprochene Rahmenerzählung dienen, den Profit soll der Leser von den Zitaten und philosophischen Erörterungen haben.
Fast peinlich berührten mich weitere Selbstoffenbarungen des Autors im Verlauf und vor allem gegen Ende dieses Kapitels. Er vergleicht dann den Curioso (sein alter ego) mit Rabelais, Diderot, Voltaire (William Sterne hätte noch dazu gepasst!), bringt den Text in die Ahnenreihe des pikarischen Romans (des Gauner- und Schelmenromans), lässt den französischen Verleger Michel das Buch des Curioso mit Thomas Manns „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ vergleichen. Auch auf das Stilmittel der fiktiven Autobiographie und auf die „Freude ... an der Camouflage“ wird literaturkundig hingewiesen. Onkel Curioso weist dies alles bescheiden zurück: „Auf was Du so alles kommst, Michel ... Jetzt fehlt nur noch, dass Du mich als >philosophischen Hochstapler< bezeichnest! Aber es ist nett von Dir, dass Du mir in punkto relativer Unsterblichkeit einiges zutraust. Aber wahrscheinlich überschätzt Du mich da eher“ (S. 123). Aber ... ist nicht auch Michel ein alter ego des Autors Michael Murauer?
Murauer versteckt sich nicht in solchen Projektionen seiner selbst, sondern offenbart sich eher in ihnen und zwar mit immer wieder entwaffnender Offenheit. Seine selbst angeklebten Bärte, übergezogenen Kleider und übernommenen Rollen sind nur allzu durchsichtig. Sie lassen einen intellektuell redlichen, in der Philosophie belesenen, sozial einfühlenden und hilfsbereiten Menschenfreund erkennen. Er kann dabei auch sehr wohlmeinend und blauäugig eine schwer realisierbare Utopie herbeiwünschen, so in Tante Sapientias „Stiftung für sachgerechte Politik ... für geistig unabhängige Nachwuchspolitiker“ (S. 144). Philosophen auf dem Königsthron?
In mindestens zwei Fällen, Freunde des Autors mögen noch mehr herausfinden, wendet Murauer in der Rahmenhandlung Stilmittel des Schlüsselromans an. Dass „Georg Denk“ eine gelungene Kopie von Georg Batz (Erster Vorsitzender der Gesellschaft für Kritische Philosophie und bewährter Versammlungs- und Diskussionsleiter) ist, habe ich schon angedeutet. Wie sich die Besucher der von ihm geleiteten Veranstaltungen erinnern können, hatte er es in der realen Situation oft nicht leicht mit Vortragenden und Diskutanten, die er manchmal nur mit mäßigem Effekt zur größeren Disziplin ermahnen konnte. In ähnlicher Weise wie „Georg Denk“ entpuppt sich auch ein „Hans Credorat“ (er könnte auch „Johannes Regulus“ heißen) als Pseudonym, nämlich für Hans Küng, der in dem Buch die Rolle des „advocatus diaboli“ (Verzeihung: eines apologetes Dei!) übernehmen muss.
Wenn ich auf die Gefahr hin, dem Leser alle Neugierde wegzunehmen, hier schon vorweg über solche Mystifizierungen aufkläre, riskiere ich wenig, denn diese Rahmenhandlung ist auch ansonsten gar nicht soo spannend. Sie kann es nicht schaffen, den Spannungsbogen über die in sie eingebetteten und oft recht langen Zitate aufrechtzuerhalten. Sie fällt darum auch kaum ins Gewicht gegenüber den in ihr transportierten und kenntnisreich vermittelten philosophischen Inhalten. Die mit der Rahmenhandlung herangelockten „Manfreds“ und andere Jugendliche hingegen würden von den anspruchsvollen philosophischen Disputationen wohl rettungslos überfordert werden.
Befassen wir uns nun mit dem philosophisch relevanten Inhalt des Buches. Mit den reichlich in die Rahmenhandlung eingestreuten Zitaten und Erörterungen versucht Murauer, den von ihm angezielten ernsthaften Profit für den Leser zu bieten, so etwa wie Rosinen, Zitronat und Mandelkerne einen ansonsten etwas zu teigigen Weihnachtsstollen erst richtig schmackhaft und gehaltvoll werden lassen. Murauers Lieblingsautoren, die er mehrfach zitiert, sind offenbar Michel de Montaigne, Arthur Schopenhauer, Friedrich Nietzsche und Bertrand Russel. Ansonsten nennt und zitiert er alles, was in Philosophie, Wissenschaft und Literatur unter Aufklärern und ihren Intimfeinden bzw. Kritikern Rang und Namen hat, nach meiner Zählung auf den 184 Seiten des Buches die Namen von insgesamt 135 verschiedenen Autoren. Abgesehen von den paar autorenfreien Schilderungen von Fahrten mit dem Fiat Lux kommt im Durchschnitt auf jeder neuen Seite neben den wiederholt erwähnten Namen noch ein neuer Name hinzu! Ich denke, dass dem Buch, genauer: dem Leser, solch lang andauerndes name-dropping nicht gut bekommt. Weniger davon wäre mehr gewesen!
Zu den schon angesprochenen Versteckspielen Murauers gehört auch die von ihm wiederholt praktizierte Methode (oder eher Unart!), den von ihm gemeinten oder sogar zitierten Autor nicht – oder jedenfalls nicht vorweg – mit dessen Namen kenntlich zu machen, sondern ihn mit einem nur dem Kundigen vertrauten Beinamen oder mit einer kurzen Charakterisierung vorzustellen, die natürlich ein philosophisch ungebildeter „Manfred“ nicht auf Anhieb verstehen kann. Murauer gibt also den Kundigen (philosophisch Gebildete wie er selbst) Rätsel zu raten, die nur ihresgleichen auflösen können. Das fängt an mit „jenem preußischen Staatsphilosophen“ (S.8) ... natürlich Hegel, setzt sich fort mit dem „großen Bertie“ (S. 13). Na, das weiß doch jeder: Bertrand Russel! Oder auf S.15: „der erste Akademiker mit seinem Höhlengleichnis“. ? ? Lesen Sie einfach weiter, etwas später (erst im übernächsten Abschnitt) fällt sein Name: Platon! Aber wer ist „jener deutsche Schollenphilosoph ... der existenzphilosophische Mystifizierer im Schwarzwald“ (S. 83)? Schon zwei Seiten später erfährt man seinen Namen: Heidegger! Und kennen Sie „den neapolitanischen Professor“ (S. 111)? Sie wissen es nicht? Schämen Sie sich! Es ist Umberto Eco! Und wenn Sie auf S. 118 lesen „Ja, ich weiß schon: ‚Anything goes’“, dann fällt Ihnen hoffentlich schon selber Paul Feyerabend ein! Und „dieser schriftstellernde Philosophiedozent aus Norwegen“ (S. 120) ist natürlich Jostein Gaarder! Den „philosophisch veranlagten Lordkanzler König James’ I.“ kennen Sie nicht? Es ist Francis Bacon. Und wer ist „unser Anstreicher“ (S. 150)? Wir Alten wissen es noch: Adolf Hitler! Aber den kennen Sie ganz bestimmt, den „Kanzler der deutschen Wiedervereinigung“ (S. 151). Ja, es stimmt, Helmuth Kohl! Murauer weiß natürlich in solchen Fällen, wen er so oder anders apostrophiert, aber weiß es jeder Leser? Jeder Manfred? Ein solches Vorgehen trägt nicht zur schnellen und präzisen Orientierung bildungshungriger Leser bei. Den Namen des gemeinten Autors rechtzeitig, nämlich vorweg, klar mitzuteilen, wäre dafür hilfreicher, denn Rätsel und Mystifizierungen sind wenig geeignet, Aufklärung zu vermitteln. „Der mit dem Fiat Lux“ sollte sich also etwas kundenfreundlicher verhalten: die von ihm dargebotenen Waren klar kennzeichnen, mit Namen, Inhalt, Bezugsquelle und Preis, möglichst auch mit ISBN-Nummer!
Der „Fiat Lux“, zwar offensichtlich ein Werbeträger für die Aufklärung („Scheinwerfer an!“), ist jedoch andererseits mit einem mysteriösen Gerät zur Realisierung von „Zeitreisen“ versehen. Aufklärung mittels Zeitreisen zu betreiben, ist schon ein Witz, wenngleich kein guter, denn da wird eine von Einsteins Relativitätstheorie abgeleitete Unmöglichkeit aufgegriffen, die besser zur Bestätigung des Glaubens an ein Weiterleben nach dem Tode dienen könnte. Dies wäre aber eher eine Zumutung an menschliche Urteilskraft als etwa eine Unterstützung von nüchterner Aufklärung. Die „Zeitreise“ ermöglicht dem Autor bzw. seinen Alias-Personen zwar interessante Begegnungen mit längst verstorbenen Geistesgrößen mehrerer Jahrhunderte, die dann sogar gleichzeitig auftreten und sogar miteinander diskutieren, z.B. David Hume mit Bertrand Russel und Hans Küng („Hans Credorat“), aber sie bleibt eine Mystifizierung, die dem im übrigen aufklärerischen Anliegen des Autors widerspricht, auch wenn sie spaßeshalber eingeführt wird. Immerhin ist anzuerkennen, dass Heidegger nicht per Zeitreise nach Wales eingeladen wurde. Aber haben die dort diskutierenden Philosophen, Literaten und Theologen wirklich zu Lebzeiten das gesagt oder geschrieben, als Zitat verwendbar, was ihnen Murauers Text in den Mund gelegt hat? Das ist nicht klar erkennbar. Oder hätten die „zitierten“ Autoren dies vielleicht nur gesagt haben können ? Nämlich nur wenn sie an einer Zeitreise nach Wales hätten teilnehmen können. Haben sie aber nicht! Hat beispielsweise Hans Küng das, was Murauer dessen Alias-Person Hans Credorat aussagen lässt, wirklich selber gesagt, hätte er es wahrscheinlich gesagt haben können, oder ist Hans Credorat vielleicht doch nur ein weiteres Pseudonym für Murauer? Wir wissen es nicht.
Für den, der mit Philosophie ohnehin vertraut ist, sagen die von Murauer ausgewählten Zitate nicht viel Neues. Dagegen findet ein der Philosophie unkundiger Leser, den Murauer offenbar gezielt ansprechen wollte, auch dann, wenn er das Buch bis zum Ende gelesen und die vielen über den Text verstreuten Zitate zur Kenntnis genommen hat, kaum einen eigenen Zugang zu dem einen oder anderen dieser vielen Autoren. Denn weil Murauer kaum eines der in den Plaudertext eingebetteten Zitate mit genauen bibliographischen Angaben versehen hat, kann der Leser auch nicht herausfinden, was der zitierte Autor noch des weiteren an klugen Gedanken zum Thema geschrieben, oder aber an undiskutablen Ansichten von sich gegeben hat. Vor allem sind derart isolierte Zitate weder in den engeren Kontext, noch in den weiteren Hintergrund einer Abhandlung einordenbar, aus dem Murauer sie entnommen hat.
Da fragt man sich auch: sind es überhaupt wörtliche Zitate bzw. halbwegs korrekte Übersetzungen? Ohne Quellenangaben kann man das nicht überprüfen, und was noch ärgerlicher ist, man kommt dann in die Verlegenheit, ohne ihre Hilfe selber nach den Titeln und Verlagen der Bücher suchen zu müssen, in denen diese Zitate in ihrem je eigenen Kontext zum Weiterlesen einladen. Sicher, das Internet mit Google und anderen Suchmaschinen könnte inzwischen besser helfen als die „Geflügelten Worte“ von Georg Büchmann (DBG, Berlin, 1952). Aber statt ziellos zu googeln bleibt eine bessere Lösung: eine E-mail an den Autor ( >michael.murauer@dgn.de< ), der hoffentlich eine Liste mit Literaturangaben vorbereitet hat und zurück mailen kann.
Von diesen Mängeln abgesehen ist das Buch eine wahre Fundgrube für Zitate von Philosophen und anderen Geistesgrößen, von den Vorsokratikern bis zu noch lebenden Zeitgenossen, die sich um Aufklärung bemüht haben. Mit „Hans Credorat“, Katharina Feuerbach und William James kommen aber auch Autoren zu Wort, die sich für den christlichen Glauben einsetzen, oder die wie Jean-Jaques Rousseau zu romantisch-utopischen Spekulationen neigen. Deren Argumente werden von „Tante Sapientia“ in ihren positiven Aspekten sogar ausdrücklich gewürdigt und gegen religionskritische Anwürfe von „Onkel Curioso“ verteidigt. Das macht einen großen Vorzug dieses Buches aus: Es ist nicht durch nur eine einzige herrschende Meinung, und sei es die der Aufklärung, bestimmt, sondern gibt verschiedenen, auch gegensätzlichen Interpretationen Raum. Es lässt Philosophen, Literaten, Wissenschaftler, Praktiker und Laien miteinander ins Gespräch kommen, an dem sich auch der etwas tumbe Manfred beteiligen und zumindest weiterführende Fragen stellen darf, und die Antworten, die er dann von Onkel und Tante bekommt, stimmen keineswegs immer miteinander überein.
Gerade diese Besonderheit des Buches stimmt mich, der ich es zunächst sehr kritisch sah, wieder versöhnlicher: Ein Buch, in dem offen und kontrovers diskutiert wird, das sogar selber Anlass zur Kritik bietet, ist für Aufklärung allemal förderlicher als die überaus korrekte Abhandlung eines Autors, der alles selber schon besser weiß und Gegenmeinungen gar nicht erst aufkommen lässt, sie zumindest streng überheblich zurückweist. Also dennoch: Tolle, lege! Nimm (kauf) und lies!
Wem sollte dieses Buch ans Herz gelegt, ja bei nächster Gelegenheit geschenkt werden? Wer kommt am ehesten als Käufer in Frage? Natürlich zunächst alle, die sich über Jahre in Nürnberg und Fürth an den Wochenendtagungen der „Gesellschaft für kritische Philosophie“ beteiligt haben, und die sich gern an die lebhaften, meist sachhaltigen und oft kontroversen Diskussionen nach den Vorträgen und beim abendlichen Zusammensein erinnern, natürlich auch an die lobenswerten Bemühungen von Georg Batz (alias Georg Denk), die Diskutanten immer wieder an das gerade behandelte Thema zu erinnern und ihre Beiträge nicht in ideologische Kämpfe ausufern zu lassen. Weitere prospektive Leser sind alle, die immer wieder gern das jeweils neueste Heft von „Aufklärung und Kritik“ durchstudieren. Bei solchen Lesern könnte Murauer zwar offene Türen einrennen, denn wer von uns müsste erst von der Qualität eines Epikur, Michel de Montaigne, David Hume und Georg Christoph Lichtenberg überzeugt werden! Es sind ja unsere geistigen Väter und weiterhin guten Freunde. Das Gesagte gilt auch für viele, die sich in der Marburger philoSOPHIA engagiert haben und sich über Philosophie und Literatur in ihrem >www.marburger-forum.de< informieren. Fiat lux!